NRW-Landesvorsitzende der Grünen Yazgülü Zeybek „Wohlstand gibt es nicht zum Nulltarif“

Interview | Wuppertal · Die NRW-Landesvorsitzende der Grünen will wieder kandidieren: Yazgülü Zeybek spricht im Interview mit unserer Redaktion über Herausforderungen und Ambitionen ihrer Partei – und den teils deutlichen Gegenwind.

Die gebürtige Solingerin Yazgülü Zeybek ist NRW-Vorsitzende von Bündnis’90/Die Grünen.

Foto: WZ/Schwartz, Anna (as)

Yazgülü Zeybek ist seit zwei Jahren NRW-Vorsitzende von Bündnis’90/Die Grünen. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht sie über die Herausforderungen dieses Amtes, die sie gleichzeitig bewogen haben, sich abermals um den Vorsitz zu bewerben. Ende Juni tritt sie wie ihr Co-Vorsitzender Tim Achtermeyer, auf dem Parteitag in Oberhausen zur Wiederwahl an. Der schwarz-grünen Landesregierung stellt Yazgülü Zeybek ein gutes Zeugnis aus und mahnt erhebliche Investitionen an, damit NRW ein klimaneutrales Industrieland werden und seinen Wohlstand wahren kann.

Frau Zeybek, Sie sind seit zwei Jahren Landesvorsitzende der Grünen und haben angekündigt, sich für eine weitere Amtszeit zur Wahl stellen zu wollen. Dabei ist Parteivorsitz auch bei den Grünen kein steter Quell der Freuden. Was macht die Arbeit für die Grünen in NRW für Sie denn so attraktiv?

Yazgülü Zeybek: Es macht mir große Freude, mit meinem Co-Vorsitzenden Tim Achtermeyer zusammen in der Verantwortung zu sein und als Grüne in NRW dieses Land voranzubringen. Dass das in diesen herausfordernden Zeiten nicht immer leicht ist, ist klar. Aber gerade das spornt mich an. Es zeichnet uns als Grüne aus, dass wir mit pragmatischem Blick daran arbeiten, die Herausforderungen zu lösen.

Da werden viele jetzt sagen: schön wär’s. Da weht den Grünen doch eher der Wind ins Gesicht. Zum Beispiel nach der Aussage von Wirtschaftsminister Habeck zur Testballon-Debatte über da Heizungsgesetz.

Zeybek: Um es mit den Worten Robert Habecks zu sagen: Wenn man regiert, kommt der Wind immer von vorne. Aber am Ende kommt es doch darauf an, dass wir weiter vorankommen und etwas verändern. Und das tun wir Grüne sehr konkret, im Bund und im Land.

Wie bewerten Sie denn die Aussage Habecks zur Testballon-Debatte über das Heizungsgesetz.

Zeybek: Die Formulierung war unglücklich, aber wurde auch misslich interpretiert. Ich habe Robert Habeck so verstanden, dass er darauf aufmerksam machen wollte, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was wissenschaftlich in der Klimapolitik notwendig ist und dem was wir als Gesellschaft als sinnvoll erachten. Das Heizungsgesetz war nicht gut kommuniziert, aber ist in der Sache weiterhin richtig, wenn wir die Klimaneutralität erreichen wollen. Da spielen Gebäudedämmung und Heizen eine sehr wichtige Rolle.

Was unbestritten ist. Aber da gab es auch das Thema E-Mobilität, für das die Zuschüsse über Nacht gestrichten worden sind. Da verlieren die Grünen ein wenig an Verlässlichkeit.

Zeybek: Im November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt, das dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) 60 Milliarden Euro entzogen hat. Dadurch entstand ein Milliardenloch im Bundeshaushalt. Es gab also schlicht nicht die Mittel, jedes Förderprogramm zu verlängern. Klar ist doch: Wir müssen unsere Gesellschaft und unseren Wohlstand vor den Folgen des Klimawandels schützen und gleichzeitig eine Akzeptanz dafür schaffen, dass Änderungen in unserer Lebensweise notwendig sind. Das ist das grüne Ziel. Wir können nicht so tun, als würde sich die Welt nicht verändern.

Die Grünen sind aktuell die einzige Partei, die sagt, dass Wandel mit Verzicht zu tun hat. Das wird von der Wählerschaft aktuell nicht so sehr belohnt. Ist die Zeit der Ehrlichkeit in der Politik schon vorbei?

Zeybek: Bei vielen Menschen herrscht Krisenmüdigkeit und das kann ich gut verstehen. Corona, Klimakrise und der Krieg in der Ukraine haben uns in einen gefühlten Dauer-Alarmzustand versetzt. Da ist es nicht immer so leicht für eine Politik zu werben, die etwas verändern will. Doch uns muss auch klar sein: Sicherheit und Wohlstand gibt es nicht zum Nulltarif. Meine Aufgabe als Parteivorsitzende ist es, für Akzeptanz zu werben und dafür zu arbeiten, dass wir gesamtgesellschaftliche Mehrheiten für Veränderungen schaffen.

Aus der Unternehmerschaft nehmen wir immer mehr Unzufriedenheit mit der Politik im Bund und auch im Land wahr. Sie auch?

Zeybek: Ich bin regelmäßig im Austausch mit Unternehmen und höre sehr viel Sorge bei ihnen um die aktuelle Lage. Und das ist auch nachvollziehbar angesichts der Situation, mit der die Unternehmen konfrontiert sind. Vor allem auch die mittelständischen. Hohe Energiepreise, Fachkräftemangel, der internationale Wettbewerb und Bürokratie, belasten sie gerade enorm. Bürokratie ist eine echte Wachstumsbremse. Trotzdem geben die Unternehmen nicht auf und gestalten die Transformation in unserem Land. Davor habe ich größten Respekt.

Was wünschen sich die Unternehmen in den Gesprächen mit Ihnen?

Zeybek: Klarheit und Planbarkeit. Besonders die energieintensive Industrie ist darauf angewiesen, dass wir erneuerbare Energien weiter zügig ausbauen. Denn langfristig werden fossile Energieträger zu teuer, um gewinnbringend zu produzieren. Da sind wir in NRW mit Rekordzahlen bei Ausbau von Wind- und Sonnenenergie gerade auf einem sehr guten Weg.

Und mit zwei Milliarden Euro von Bund und Land für Thyssen-Krupp für die Produktion von grünem Stahl fördern. Schade nur, dass der Konzern seine Stahlsparte jetzt teilweise verkauft.

Zeybek: Es ist absolut richtig, dass wir in den Stahlstandort NRW investieren. Die Industrie ist das Herz unserer Wirtschaft. Ehrlicherweise kann ich nicht nachvollziehen, warum der Konzern sich so verhält. Wir erwarten jetzt Klarheit von Thyssen-Krupp und dass der Konzern dafür sorgt, dass sich die Investition am Standort auszahlt und hier weiter Stahl produziert wird.

Die Grünen wirken in Regierungsbeteiligung häufig sehr kompromissbereit. Sie vertreten aber auch eine Parteibasis, die zumindest in Teilen noch sehr ideologisch geprägt ist. Wie schaffen Sie diesen Spagat?

Zeybek: Wir machen es uns mit schwierigen Entscheidungen nicht einfach, wir ringen darum, wägen ab, streiten auch manchmal. Eine Partei braucht Raum dafür, das ist meine Aufgabe als Parteivorsitzende. Wir kommen dann aber immer geschlossen zu einer Entscheidung. Das gilt auch für die Unterstützung der Ukraine mit Waffen. Da sind wir sehr klar und sehr entschlossen. Die Ukraine muss in diesen Zeiten unterstützt werden.

Das Thema Palästina ist für die Grünen doch sicher sehr schwer.

Zeybek: Wir Grüne setzen uns auf allen Ebenen für das Existenzrechts Israels ein und verurteilen den terroristischen Angriff der Hamas aufs Schärfste. Gleichzeitig müssen wir zunehmendem Antisemitismus und Islamismus in Deutschland entschlossen bekämpfen. Sie finden bei den Grünen niemanden, der das anders sieht. Gleichzeitig sagen wir mit Blick auf die humanitäre Katastrophe, die gerade in Gaza geschieht, dass Israel bei seiner berechtigten Verteidigung humanitäres Leid abwenden muss. Das ist kein Widerspruch. Ich finde es richtig, wie Außenministerin Baerbock sich dazu positioniert.

Die Grünen liegen in NRW in Umfragen derzeit bei 17 Prozent. Die CDU käme aktuell auf 38 Prozent. Ministerpräsident Wüst scheint übers Wasser gehen zu können, und die Grünen erwecken ein bisschen den Eindruck, ihm danach die Schuhe zu trocknen. Es ist gespenstig ruhig in der Koalition in Düsseldorf.

Zeybek: Das kann ich nicht nachvollziehen, die Zusammenarbeit läuft gut. Wir sind unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Aber wir arbeiten in unserem gemeinsamen Interesse für die Zukunft Nordrhein-Westfalens. Meinungsunterschiede gibt es, aber die werden konstruktiv besprochen. Es unterscheidet uns vielleicht von anderen Ebenen, dass wir Konflikte nicht in der Öffentlichkeit austragen.

Die Koalition im Landtag ist jetzt knapp zwei Jahre alt. Was sehen Sie auf der Habenseite?

Zeybek: Wir haben zum Beispiel den Kohleausstieg um acht Jahre auf das Jahr 2030 vorgezogen, damit bleiben rund 280 Tonnen Kohle im Boden und mehrere Dörfer und Höfe wurden gerettet. Mit dem Ausstieg 2030 schließen wir das letzte Kohlekapitel in NRW.

Wobei es erhebliche Zweifel gibt, dass der gelingt.

Zeybek: Im Jahr 2026 prüft die Bundesregierung, ob ein Reservebetrieb der drei letzten Braunkohleblöcke bis 2033 notwendig ist, um die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Deswegen ist es so wichtig, dass die Bundesregierung bei ihrer Kraftwerksstrategie jetzt nachbessert und neue wasserstofffähige Gaskraftwerke in Betrieb gehen, damit der Kohleausstieg 2030 gelingen kann. Da helfen auch die sehr guten Zahlen beim Ausbau der erneuerbaren Energien.

Es ist aber noch kein einziges der benötigten Gaskraftwerke geplant, geschweige denn genehmigt.

Zeybek: Deshalb muss der Bund 2026 bewerten. Wir werden alles dafür tun, dass es klappt. Dazu gehört auch, dass es bei der Strategie Nachbesserungen gibt. Aber das sieht die Vereinbarung ja auch vor.

Aber das Risiko ist relativ groß, dass 2030 nicht gelingt.

Zeybek: 2033 ist als spätester Zeitpunkt verabredet.

Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit von Schulministerin Feller von der Union?

Zeybek: Sie setzt sich sehr dafür ein, dass zusätzliche Kräfte für die Schulen gewonnen werden. Dazu gibt es aus dem Landtag heraus mit der Landesregierung eine Initiative, Schulpolitik auf neue Beine zu stellen.

Wie sollen die aussehen?

Zeybek: Es geht unter anderem darum, wie man in der Oberstufe neue Prüfungsformate schaffen kann, damit der Fokus nicht nur auf Leistungsdruck liegt, sondern dass Schule wieder ein Ort wird, wo Kinder und Jugendliche sich kreativ entfalten können. Dafür sind Lehrkräfte essenziell, deshalb ist es auch wichtig, dass wir hier vorankommen.

Auch durch höhere Einkommen.

Zeybek: Es ist ein großer schwarz-grüner Erfolg, dass die Besoldung der Grundschullehrerinnen und -lehrer an die in den weiterführenden Schulen angepasst worden ist.

Vorausgesetzt, Sie werden wiedergewählt. Was ist Ihre politische Agenda für die nächsten zwei Jahre?

Zeybek: Ich will die erfolgreiche Arbeit der Grünen in NRW fortsetzen. Wir arbeiten daran, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion zu machen und dieses Ziel ist ein enormer Ansporn. Ich persönlich möchte dabei im Austausch mit den Unternehmen bleiben, um mit ihnen über aktuelle Herausforderungen zu sprechen. Ganz aktuell müssen wir vor allem sehen, wie wir angesichts knapper Kassen notwendige Investitionen schaffen und unsere Infrastruktur stärken.

Da reden wir dann über Schuldenbremse und Neuverschuldung?

Zeybek: Erst einmal reden wir über Investitionen, die notwendig sind. Studien prognostizieren, dass wir in den nächsten zehn Jahren einen Investitionsbedarf von 600 Milliarden Euro haben. Wenn wir die nicht investieren, verfestigt sich die wirtschaftliche Stagnation. Wir müssen investieren und können uns nicht in einen Aufschwung hineinsparen. Das ist, was ich von Unternehmen und allen Wirtschaftsverbänden eindeutig höre, übrigens auch von Ministerpräsidenten der CDU.

Sie haben Schwarz-Grün in Düsseldorf gelobt, meinen Sie, das müsste man auch in Berlin mal machen?

Zeybek: In NRW funktioniert Schwarz-Grün sehr gut. Wir werden hier weiter dafür arbeiten, dass wir unsere Ziele umsetzen. Die Ampel wird dasselbe in Berlin tun, und nach den Wahlen muss man sehen, mit wem man spricht. Aber ich finde eine Offenheit erst einmal wichtig. Das gebietet die Verantwortung, die wir für das Land tragen.