Staatssekretär auf Schulbesuch Ja zu Inklusion und Förderschulen

Düsseldorf · Ab dem nächsten Schuljahr gelten die neuen Vorgaben der Landesregierung für das Gemeinsame Lernen. Aber auch das Förderschulsystem soll eine Zukunft haben.

 Dank des Talkers, eines Computers an ihrem Rollstuhl, der auf Augenkontakt reagiert, kann sich Baran (15) mit anderen Menschen unterhalten.

Dank des Talkers, eines Computers an ihrem Rollstuhl, der auf Augenkontakt reagiert, kann sich Baran (15) mit anderen Menschen unterhalten.

Foto: Ekkehard Rüger

Erinnerung an den eigenen Zivildienst an der Rheinischen Schule für Körperbehinderte in Düsseldorf in den 80er Jahren. Der Junge hieß Waldemar. Seine Spasmen ließen koordinierte Bewegungen nicht zu, auch Sprechen war ihm nicht möglich. Aber seine Augen konnte er fixieren. Indem er Zeichen der Symbolsprache Bliss anschaute und man seinem Blick folgte, eröffneten sich Wege der Kommunikation.

32 Jahre später, die Förderschule heißt jetzt LVR-Schule am Volksgarten. Baran sitzt im Raum für Ergotherapie. Die 15-Jährige zeigt ähnliche Einschränkungen wie damals Waldemar. Aber anstelle einer Symboltafel fixieren ihre Augen den Computerbildschirm, der an ihrem Rollstuhl befestigt ist. Kameras halten die Blickrichtung fest, die Bedienoberfläche mit einem inzwischen neuen und vereinheitlichten Symbolsystem reagiert entsprechend – und am Ende ertönt aus dem Lautsprecher des Talkers der Satz: „Vielen Dank für Ihren Besuch.“ Auch das ist Digitalisierung an Schulen.

Aber sie erfordert großen Einsatz. Der Kampf mit den Krankenkassen um die Finanzierung des Talkers. Die notwendige Begutachtung der Augensteuerung vor der Anschaffung. Das ab der Primarstufe erforderliche intensive Training. „Auch das Elternhaus muss mitziehen“, sagt Rektor Michael Rösch. Ein Beispiel dafür, wie intensiv an der Schule der Dreiklang aus Unterricht, Therapie und Pflege miteinander verzahnt ist und wie intensiv der Förderbedarf im Bereich der körperlichen und motorischen Entwicklung bei den derzeit rund 190 Schülern sein kann.

Ab 2019/20 neue Vorgaben
zum Gemeinsamen Lernen

An diesem Tag zieht eine große Besuchergruppe durch die Räume. Staatssekretär Mathias Richter aus dem NRW-Schulministerium ist gekommen, dazu Vertreter der Landschaftsverbände und der Schulaufsicht. In der kommenden Woche wird das alte Streitthema der schulischen Inklusion den Schulausschuss des Landtages beschäftigen. Ab dem kommenden Schuljahr greifen die neuen Vorgaben für die Schulen des Gemeinsamen Lernens. Spätestens zum Schuljahr 2023/24 soll auf der Basis der neuen Mindestgrößenverordnung andererseits auch klar sein, welche Förderschulen eine Zukunft haben.

In Kürze will das Ministerium eine Auswertung des jüngsten Anmeldeverfahrens vorlegen, das Auskunft gibt über das Interesse an einer inklusiven Beschulung. Aber in einem ersten Bericht hat Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) bereits festgehalten: „Entgegen wiederholter Behauptungen sind Gymnasien weiterhin an der Inklusion beteiligt. Die sonderpädagogische Förderung findet dort in der Regel zielgleich statt. Die Landesregierung begrüßt und unterstützt jedoch auch eine zieldifferente Förderung an Gymnasien.“

Bei seinem Besuch in der Düsseldorfer Förderschule bekräftigt Staatssekretär Richter sowohl das Bekenntnis zur Inklusion in den Regelschulen als auch zum Fortbestand des Förderschulsystems. „Förderschulen wie hier wird eine Schullandschaft dauerhaft brauchen.“ Ziel sei es, dass nicht immer weiter versucht werde, „beide Systeme gegeneinander auszuspielen“. Bei Angela Faber, der zuständigen Dezernentin des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), rennt er damit offene Türen ein: „Es muss personenzentriert entschieden werden. Die Kinder geraten in der allgemeinen Diskussion immer wieder aus dem Blick.“

Zahl schwerstbehinderter
Schüler nimmt zu

Die Förderschule am Volksgarten verzeichnet eine steigende Zahl schwerstbehinderter Schüler – auch eine Folge des medizinischen Fortschritts: Immer mehr behinderte Frühchen überleben die Geburt. Inzwischen werden 58 Prozent der Schüler intensivpädagogisch gefördert. Im Förderbereich „Körperliche und motorische Entwicklung“ hat sich im Bezirk Düsseldorf etwa ein Drittel der Eltern für eine inklusive Schule entschieden, zwei Drittel bleiben weiter den Förderschulen treu. Aber die Systeme atmen: „Es gibt beiderseitige Wechsel“, sagt Rektor Rösch.

Eine relative Stabilität der Schülerzahlen sieht Richter bei den Förderschulen für geistige sowie für körperliche und motorische Entwicklung. Bewegung in Richtung Inklusion sei in den Bereichen „Emotionale und soziale Entwicklung“, „Lernen’“, „Hören und Kommunikation“ sowie „Sehen“ zu beobachten. Gerade das Beispiel der Schule am Volksgarten zeige aber, wie riesig der Förderbedarf im Einzelfall sei.

Und wie hoch die pädagogischen Anforderungen. „In der Primarschule geht es viel darum, den Kindern Selbstvertrauen zu geben“, sagt Lehrerin Yvonne Purrio. „Später müssen wir ihnen dann mit Blick auf die Berufswahl auch ihre Einschränkungen bewusst machen. Das ist ein sensibler Prozess.“