Tausende Stellen unbesetzt NRW wirbt mit neuer Kampagne um Lehrer: So groß ist der Mangel
Düsseldorf · Das NRW-Schulministerium wirbt mit einer neuen Kampagne über Videos in den Sozialen Medien um neue Arbeitskräfte in den Schulen. Wenig Begeisterung bringen die Schul-Gewerkschaften dem Bemühen entgegen.
Bisweilen können die Dinge ordentlich schief gehen. Im vergangenen Sommer hat Theresa Schopper (Grüne), Kultusministerin in Baden-Württemberg, eine Kampagne gestartet, um mehr Menschen in „Bawü“ für den Lehrerberuf zu begeistern. Denn Lehrermangel ist überall. Auf den riesigen Plakaten an Bahnhöfen und Flughäfen stand am Ende der Spruch: „Gelandet und gar keinen Bock auf Arbeit morgen? Werde Lehrer!“
Das Entsetzen war groß, der politische Schaden da, am Ende musste an der Kampagne noch einmal kräftig geschraubt werden. Aus der erhofften Werbung für personell besser ausgestattete Schulen wurde ein Rohrkrepierer. Alles das ist der nordrhein-westfälischen Schulministerin Dorothee Feller (CDU) natürlich nicht entgangen. Vielleicht hat die Verwaltungsfachfrau aus Münster deswegen für das hiesige Bundesland bei gleicher Interessenslage zu einem anderen Kniff gegriffen. Testimonials aus dem Lehreralltag sollen ab sofort in NRW möglichst authentisch für den Lehrerberuf werben. Auf Facebook, bei Instagram, vielleicht sogar auf TikTok, wobei das Schulministerium hier noch gar keinen eigenen Account bespielt. Aber: Alles ist ausgerichtete auf junge Menschen und ihren Alltag in den Sozialen Medien.
Und so erklärt nun Louisa, die als Musiklehrerin an einer Förderschule arbeitet, in ihrem Video, warum sie sich für diesen Beruf entschieden hat. „Als Lehrerin bin ich Musikerin, Pädagogin und Vertrauensperson zugleich.“ Über eine besondere ‚LehrKRAFT‘ – so das wiederkehrende Thema aller Testimonials – verfügt auch Volker: Als Seiteneinsteiger bringt der studierte Architekt jede Menge Berufserfahrung in seinen Bautechnik-Unterricht am Berufskolleg ein. Wer sich wie er für den Seiteneinstieg in den Schuldienst entscheidet, wählt, so sagt er, „einen wunderbaren Beruf, der abwechslungsreiche Arbeiten bietet und auch tolle Rückmeldungen von den Schülerinnen und Schülern mit sich bringt.“ Und Ahmad kann nicht nur Wissen in Englisch und islamischem Religionsunterricht vermitteln, sondern nebenbei auch von seiner Flüchtlingserfahrung berichten.
Mit dem Appell „Was ist deine LehrKRAFT? Find’s raus!“ setzt die Kampagne auf eine gezielte und direkte Ansprache in den Social-Media-Kanälen, wirbt das Schulministerium in NRW. Die neue Kampagne sei Teil eines ersten Handlungskonzepts, mit dem Ministerin Feller die Personalsituation an den Schulen kurz-, mittel- und langfristig verbessern will. Denn das hatten vor ihr schon viele versucht. Und waren doch zu oft gescheitert. „Um die offenen Stellen zu besetzen, müssen wir wieder genug Lehrerinnen und Lehrer für alle Schulformen ausbilden. Zum laufenden Wintersemester haben wir daher gemeinsam mit den Hochschulen insgesamt 465 weitere neue Studienplätze für das Grundschullehramt und die Sonderpädagogik eingerichtet“, sagt Feller. Nur ein Detail. Und: In 2023 waren 800 Seiteneinsteiger in den NRW-Schuldienst eingestellt worden, gut 160 davon an Grundschulen, die ebenso wie die Förderschulen außerdem von der Unterstützung durch insgesamt bereits fast 1200 Alltagshelferinnen und Alltagshelfer profitierten, sagt die Ministerin. „Dass es uns nach und nach gelingt, die Schulen mit zusätzlichem Personal zu unterstützen, ist für uns ein Ansporn, die nächsten Schritte zu gehen. Dass am 1. Dezember 2023 landesweit rund 3900 Lehrerstellen mehr besetzt waren als noch ein Jahr zuvor, zeige: „Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt Feller.
Wenig Begeisterung bringen die Schul-Gewerkschaften dem Bemühen Fellers entgegen. Auch deren Vorgängerinnen „wollten mit mehr oder weniger pfiffigen Kampagnen das Nachwuchsproblem an Schulen lösen. Viel Erfolg hatten sie damit indes nicht“, sagt Sabine Mistler, Vorsitzende des Philologenverbandes in NRW. Mehr als 7000 Stellen für Lehrer seien derzeit in NRW nicht besetzt. „Gute und attraktive Arbeitsbedingungen sind der Schlüssel, um den Lehrkräftemangel nachhaltig zu beheben“, sagt Mistler. Derzeit arbeiten viele „am Rande der Erschöpfung“.
Die Vorsitzende der GEW NRW, Ayla Çelik findet es „gut, dass diese Werbekampagne an unterschiedliche Beschäftigtengruppen adressiert ist“, bei den Arbeitsbedingungen bleibe aber Luft nach oben. „Denn Lernen und Lehren bauen auf einer persönlichen Beziehung auf und dafür braucht es genügend zeitliche und personelle Ressourcen.“ Dazu gehöre nicht das „Ablehnen voraussetzungsloser Teilzeit“.
Lehrer NRW findet die Kampagne immerhin „authentisch und seriös“. Schon deshalb hebe sie sich „wohltuend von der missratenen Werbekampagne der Vorgängerregierung ab, die 2018 mit anbiederndem Jugendsprech vergeblich versucht hatte, junge Menschen für den Lehrberuf zu begeistern“, wie der Vorsitzende Sven Christoffer sagt. Aber: „Das eigentliche Problem ist, dass wir überhaupt eine Werbekampagne brauchen.“ Er fordert angemessene Besoldung, kleinere Klassen, eine „zeitgemäße Ausstattung von Klassen- und Lehrerzimmern, weniger Bürokratismus und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Die schulpolitische Sprecherin der SPD, Dilek Engin, mahnt darüber hinaus „strukturelle Veränderungen“ an wie „die Einführung moderner Arbeitszeitmodelle, eine umfassende Lehrplanreform“ oder die Möglichkeit, auch „Ein-Fach-Lehrkräfte einzustellen“.