Pro und Contra Wie gerecht ist das Bürgergeld?
Krefeld/Wuppertal · Am Bürgergeld scheiden sich die Geister: Für die einen ist es eine soziale Absicherung für Menschen, die nicht arbeiten können, für die anderen ist es eine soziale Hängematte für Leute, die nicht arbeiten wollen. Ein Pro und Contra in Gastbeiträgen aus Krefeld und Wuppertal.
Am Bürgergeld scheiden sich die Geister: Der Krefelder Stadtdirektor Markus Schön (SPD), der auch Vorsitzender der Trägerversammlung des Jobcenters Krefeld ist, sowie der ehemalige Kämmerer und neue Wuppertaler CDU-Chef Johannes Slawig haben unterschiedliche Blickwinkel zum Thema. Ein Pro und Contra in Gastbeiträgen aus Krefeld und Wuppertal:
Pro: Es geht nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, von Markus Schön (SPD)
Die aktuelle Diskussion um das Bürgergeld ist leider geprägt von Populismus und Desinformation. Sie wird von einigen politischen Kräften dazu genutzt, den Sozialstaat in Misskredit zu bringen. Dies wird bewusst auf dem Rücken derjenigen Menschen ausgetragen, die keine eigene Lobby haben und auf unsere Solidarität angewiesen sind. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Gerade den Ärmsten in der Gesellschaft sind wir es schuldig, Vorurteile gegenüber unserem Sozialstaat abzubauen.
Krefeld, viele weitere Kommunen, die Länder und der Bund befinden sich in einer kritischen Haushaltslage. In der Regel setzt eine solche Situation eine politische Verteilungsdebatte in Gang. Einsparungen treffen dabei viel zu oft diejenigen, die nicht aus dem Vollen schöpfen können. Einer solidarischen Gesellschaft würde es dagegen gut anstehen, diejenigen stärker in die Pflicht zu nehmen, die sich bisher ihrer Verantwortung entzogen haben, weil für sie das Gemeinwohl nur eine lästige Randnotiz darstellt. In den Vordergrund zu rücken ist daher eine Debatte um einen gerechteren Steuerstaat und nicht ausschließlich um den Sozialstaat. Es passiert jedoch exakt das Gegenteil. Nicht selten ist das Populismus in Reinkultur, der wegführt vom faktenbasierten Diskurs.
Fakt ist, dass die Höhe des Bürgergeldes das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum zur Sicherung der Menschenwürde abbilden muss. Das hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden. In Zeiten von hoher Inflation sind daher auch die Regelsätze entsprechend nach oben zu korrigieren. Wem die Setzung dieser absoluten Untergrenze menschenwürdigen Lebens im Vergleich zu den untersten Lohnklassen zu hoch erscheint, der sollte sich nicht über das zu hohe Bürgergeld, sondern über zu niedrige Löhne und Tarifflucht aufregen. Das wird jedoch bewusst durch die lautesten Stimmen der Debatte verschwiegen. Es ist nicht gewollt, weil dies zu spürbaren Verbesserungen für einen Großteil unserer Gesellschaft führen würde und damit dem eigenen Populismus die Grundlage entzöge.
Neben den Löhnen könnte auch dort angesetzt werden, wo das wirklich große Geld liegt. So fließen immer noch Milliarden Euro durch Steuerschlupflöcher am Fiskus vorbei, werden hohe Betriebsvermögen zu vergleichsweise niedrigen Erbschaftssteuersätzen vererbt und Millionen-Boni an Topverdiener ausgezahlt, obwohl Leistungen nicht erbracht werden – Stichwort Deutsche Bahn. Stattdessen wird eine rein auf das Bürgergeld fokussierte Sozialstaatsdebatte geführt, die von gewissen Kreisen bewusst angestoßen wurde, um Unruhe zu stiften und das aufgeheizte gesellschaftliche Klima für ihre Zwecke auszunutzen. Zum einen wird behauptet, dass die Leistungen des Bürgergeldes zu hoch seien, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt und unterm Strich kaum ein Unterschied zwischen Bürgergeldbezug und dem Lohn aus Erwerbstätigkeit verbleibt.
Traurig genug ist, dass mittlerweile auch manch ein Vertreter der etablierten Parteien sich diese kruden Argumente und Rechnungen rechtsextremer Kreise zu eigen machen. Dabei werden die Wahrheiten so gedreht, wie es gerade passt. Dass steigende Stromkosten aus dem knapp bemessenen Regelsatz bezahlt werden müssen, wird dann ebenso gerne verschwiegen wie der Umstand, dass andere Sozialleistungen angerechnet werden. Zur Wahrheit gehört, dass viele arbeitende Menschen zusätzlich Bürgergeld empfangen müssen, um überhaupt das Existenzminimum zu erreichen, Stichwort Aufstocker. Meldungen, dass die überwiegende Mehrzahl aller Arbeitslosen kooperiere, gehen bei den reißerischen Überschriften komplett unter.
Die zweite Behauptung ist jene, es gebe keine Sanktionen mehr. Das ist falsch. Das Prinzip des Forderns besteht noch immer, nur der Fokus hat sich verlagert. Sanktionen konzentrieren sich jetzt auf die hartnäckigen Fälle von Verweigerung, in denen dies auch wirklich angebracht ist. Das Bürgergeld ist daher eben kein bedingungsloses Grundeinkommen – ein solches passt auch gar nicht zu unserer auf der christlichen Soziallehre fußenden Konzeption eines aktivierenden Sozialstaats. Diesen dürfen wir nicht von denen zerreden lassen, die Missgunst säen und nicht nur den Sozialstaat, sondern auch unsere gesamte demokratische Gesellschaftsordnung ins Wanken bringen wollen.
Contra: Eine Reform mit vielen Fragezeichen, von Johannes Slawig (CDU)
Unser Sozialstaat muss das Existenzminimum absichern, damit jede(r) ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft führen kann. Diese Verpflichtung, die sich für mich aus der christlichen Sozialethik ergibt, steht überhaupt nicht zur Disposition.
Ganz im Gegenteil: Angesichts verbreiteter materieller Notlagen ist diese Verpflichtung aktueller und wichtiger denn je. Wer auf finanzielle Unterstützung durch die Gesellschaft angewiesen ist, der muss durch unseren Staat solidarisch unterstützt werden.
Allerdings muss die Politik auch beachten, dass diese solidarische Unterstützung finanziert wird durch diejenigen, die arbeiten und Steuern zahlen. Deren Belastung hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen: steigende Kosten (besonders für die Energie), steigende Mieten (gerade in den Ballungsräumen), steigende Steuern und Sozialabgaben führen dazu, dass weniger Netto vom Brutto und damit weniger für selbstbestimmte Lebensgestaltung übrig bleibt.
Daher ist es ungerecht, wenn fleißig arbeitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Hilfen für Menschen bezahlen, die nicht dringend darauf angewiesen sind. Wer finanzielle Unterstützung durch den Staat erhält, muss bereit sein, dafür eine Gegenleistung zu erbringen, soweit ihm dies möglich ist.
Krankheit oder die Erziehung von Kindern beispielsweise sind sicher richtige Ausnahmen. Aber ansonsten gilt: Fördern und Fordern. Dies bedeutet dann konkret: Wer Bürgergeld erhält, muss verpflichtet sein, aktiv nach Arbeit zu suchen. Falls ihm dies nicht gelingt, ist gemeinnützige Tätigkeit angesagt. Oder Fortbildung, um die Vermittlung in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Wenn sich jemand dieser Verpflichtung entzieht, müssen deutliche und spürbare Sanktionen folgen.
Die Neuregelung des Bürgergeldes weicht diese Verpflichtung zu stark auf. Damit werden die Bemühungen der Jobcenter geschwächt. Und es schwindet das Gerechtigkeitsgefühl und das Verständnis für unseren Sozialstaat bei denjenigen, die mit ihren Steuern die sozialen Leistungen finanzieren. Außerdem muss ein angemessener Abstand zwischen Bürgergeld und Erwerbseinkommen gewährleistet werden. Verschiedene Berechnungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Teilweise wird dieser Abstand nicht mehr gewahrt.
Hinzu kommt: Innerhalb der vergangenen zwei Jahre ist das Bürgergeld um ein Viertel angestiegen, während Löhne und Gehälter deutlich weniger gestiegen sind. Die aktuell zu Jahresbeginn vorgenommene deutliche Erhöhung passt nicht mehr, weil die Inflationsrate mittlerweile deutlich geringer ist als noch im Sommer des vergangenen Jahres. Die Ausgaben für das Bürgergeld sind im vorigen Jahr deutlich angestiegen auf nahezu 38 Milliarden Euro. In den nächsten Jahren ist mit weiteren Steigerungen zu rechnen. Diese Zahlungen werden das Strukturproblem des Bundeshaushaltes weiter verschärfen, der ohnehin durch steigende Aufwendungen für andere Aufgaben erheblich belastet wird. Ich nenne beispielhaft nur die steigenden Zinszahlungen oder die Tilgungen der Schattenhaushalte. Schnell und laut wird nach einer Aufhebung der Schuldenbremse gerufen: Doch neue Schulden sind ein Irrweg, denn damit belasten wir noch stärker die kommenden Generationen, die ohnehin die Folgekosten der heute schon gewaltigen Staatsverschuldung tragen müssen. Auch höhere Steuern kommen nicht in Frage, gerade angesichts der wirtschaftlichen Rezession, die unsere Volkswirtschaft gerade erleidet.
Die geforderte Erhöhung der Erbschaftssteuer würde die Weiterführung von Unternehmen, gerade im Mittelstand, erheblich gefährden. Der Bundeshaushalt hat angesichts weiter hoher Steuereinnahmen kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem. Daher ist der Bund gefordert, unsere Steuermittel effizient und effektiv einzusetzen. Das bedeutet, – so schwer es fällt – die Aufgaben zu priorisieren und die staatlichen Aufgaben so wirtschaftlich wie möglich zu erledigen. Die jetzige Reform des Bürgergeldes wird diesem Anspruch leider nicht gerecht.