Ein Markt der Entschleunigung
Trotz des großen Andrangs verströmte der Weihnachtsmarkt auf dem Tuppenhof vor allem besinnliche Atmosphäre.
Vorst. Um 10 Uhr standen die ersten Besucher vor der Tür, obwohl erst um 13 Uhr geöffnet wurde. Das verriet Jürgen Rau, Geschäftsführer vom Museumsförderverein des Tuppenhofs. Die Menschen begehrten Einlass und machten damit deutlich, welch große Anziehungskraft der Weihnachtsmarkt auf dem Tuppenhof auf seine Besucher ausübt. An 29 Ständen gab es überwiegend Weihnachtliches beziehungsweise mit viel Liebe und Können hergestelltes (Kunst)-Handwerk.
Der denkmalgeschützte Vierkanthof ist an sich schon ein lohnendes Ausflugsziel. Mit den 29 Ständen wurde es jetzt wieder zu einer kleinen Attraktion. Überall gab es sichtbare Zeichen der Entschleunigung, wie man sie sonst kaum auf einem Weihnachtsmarkt findet: In der Scheune beispielsweise scharte die 88 Jahre alte Adrienne Wiederhold am Spinnrad wieder die Besucher um sich. Bärbel Klein aus Hilden hätte sich keinen schöneren „Marktplatz“ vorstellen können als die heimelige Uppkammer mit dem Bett von 1759, der Wärmflasche aus Eisen sowie dem Nachttopf neben dem Bett. Buchstaben und sogar Briefe aus Lebkuchen gab es bei ihr zu kaufen, dafür lohnte es sich locker, die paar Stufen hochzusteigen und kurz den Kopf einzuziehen. Draußen saßen Besucher auf der Bank, eine Tasse Glühwein in der Hand und wirkten so, als hätten sie begriffen, wie sich Entschleunigung anfühlt.
Bei Renate Hackenberg konnten die Besucher aus 23 verschiedenen handgemachten Pralinen auswählen, Christian Esser, ebenfalls aus Kaarst, hatte 15 Sorten Weihnachtsgebäck im Angebot, darunter einen Spekulatius, der gerade vom Deutschen Brotinstitut mit Gold ausgezeichnet worden ist. Bei Hannelore Loersch und Irene Weigl gab es von Hand gefertigte Seifen, die ihren Duft in der früheren Waschküche verströmten. Die Frauen vom Tuppenhof hatten Schmalzbrote geschmiert, Tabea (9) und Celine (8) bastelten Windlichter unter Anleitung der Museumskuratorin Britta Spies. Schräg gegenüber bot Museumspädagogin Katja Stromberg Weißwäsche mit Spitze an, der sie ein Upgrade verpasst hatte — aus dem weißen Hemdchen von 1910 wurde ein reizvolles Wäschestück, ein Stück Reizwäsche fast schon.
Ebenso ungewöhnlich: Die Stammbäume, die die Neusserin Lilo Feis wird man so in NRW kein zweites Mal finden. Die 76-Jährige war zum ersten Mal auf dem Tuppenhof. Reiner Strauss von der Kaarster Nepalinitiative verkaufte Pashmina-Schals und freute sich: „Hier trifft man viele Gleichgesinnte.“ Er meinte damit Menschen, die anderen helfen wie zum Beispiel Susanne Grütters vom Verein „PAUL kocht“, der Menschen mit Handicap beschäftigt. Krippenbauer Heinrich Wolff aus Dormagen bot seine stimmungsvollen Stücke, die aus Naturmaterialien gefertigt werden, in Kaarst an.
Weihnachten ist die Zeit der Wünsche. Jürgen Rau hat gleich mehrere: Er wünscht sich, dass sich bald ein Bewerber für das Amt des Vorsitzenden findet — Norbert Kallen war aus beruflichen Gründen ausgeschieden.