Gewalt gegen Frauen: Opfer im eigenen Schlafzimmer
Ursula Habrich spricht oft mit Frauen, die in ihrer Beziehung sexuelle Gewalt erleben. Sie erklärt, warum.
Neuss. Das Thema kennt jeder, doch fast niemand spricht darüber. Sexuelle Gewalt bezeichnet nicht nur Vergewaltigungen in dunklen Straßenecken. Auch im heimischen Schlafzimmer werden Frauen zu Opfern. Die Sozialpädagogin Ursula Habrich von der Beratungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ erklärt, wie es in Beziehungen zu sexueller Gewalt kommt.
WZ: Frau Habrich, bei der Beratungsstelle sprechen sie mit vielen Frauen in Krisensituationen. Wie oft werden Frauen Opfer sexueller Gewalt?
Habrich: Die meisten Frauen, die zu uns kommen, haben Probleme mit Gewalt. Von 431 Fällen sprechen aber nur etwa 40 direkt von sexueller Gewalt. Das sind oft junge Frauen, die auf dem Weg von der Disco Opfer wurden. Die anderen Frauen leiden unter häuslicher Gewalt und sprechen zunächst über körperliche Gewalt, weil sie weniger tabuisiert ist. Im Gespräch stellt sich dann heraus, dass ihre Partner sie auch vergewaltigen.
WZ: Wie kann das passieren?
Habrich: Viele Frauen kennen Gewalt bereits aus ihrer Kindheit. Sie lassen es über sich ergehen, damit es schnell vorbei ist. Oder sie sagen: „Dann ist er vielleicht nicht mehr so aggressiv.“ Manche Frauen glauben aber auch, dass sexuelle Gewalt zu einer Ehe gehört. Ich glaube, dass durch Vergewaltigungen häufiger Kinder entstehen, als man denkt — auch, weil die Frauen diese Handlung nicht als Vergewaltigung sehen. Doch so eine Erfahrung endet immer in einer traumatisierten Haltung.
WZ: Was bewegt die Männer?
Habrich: Sie nutzen die sexuelle Gewalt, um zu sagen: „Ich zeig dir jetzt mal, wer hier das Sagen hat.“ Es geht um Macht und Ohnmacht. Mit sexueller Gewalt kann man jemanden relativ schnell ziemlich heftig erniedrigen. Selbst erlebte Gewalt, zum Beispiel in der Kindheit, ist immer ein Risikofaktor. Die Gründe sind aber sehr individuell.
WZ: Auch eine Vergewaltigung in der Ehe ist eine Straftat. Wie hoch ist die Bereitschaft ihrer Klientinnen, den Partner anzuzeigen?
Habrich: Untersuchungen belegen, dass die Bereitschaft in den letzten Jahren abgenommen hat. Das Problem ist, dass die Beweislast beim Opfer liegt. Bei kleinen Verletzungen kann es auch nur rauer Sex gewesen sein. Das ist sehr belastend. Vor Gericht treten die Frauen weniger als Klägerin, sondern als Zeugin auf. Die Frauen wissen, was auf sie zukommt.
WZ: Zu der schwierigen Anklage kommt die eigene Unsicherheit.
Habrich: Die Frauen kämpfen mit ihrem Selbstwertgefühl. Das ist nicht nur angekratzt, sondern ziemlich zertrümmert. Sie suchen die Schuld, fragen, was sie dazu beigetragen haben. Und sie schämen sich, dass sich der Mann, mit dem man aus Liebe zusammengekommen ist, so verändert hat. Wir ermutigen die Frauen nicht, ihre Männer anzuzeigen, aber wir stehen beratend zur Seite.
WZ: Wie können sich Frauen gegen sexuelle Gewalt wehren?
Habrich: Wenn die Situation eskaliert, kann man wenig dagegen tun. Es ist wichtig, dass Frauen über sich selbst bestimmen. Man muss Nein sagen können. Kein Partner hat das Recht, Sex zu fordern. Wenn der eine immer will und der andere gar nicht, spricht man mit einer neutralen dritten Person darüber und sucht nach den Ursachen. Das Problem wird gelöst, wenn darüber gesprochen wird. Man sollte damit nicht alleine bleiben.