Neusser Partnerstadt Nachrichten aus Pskow – trotz offizieller Funkstille
Neuss/Wassenberg · Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat Neuss die Zusammenarbeit mit der Partnerstadt Pskow ruhend gestellt. Privatreisende wie Harald Beschoten und Klaus Eberl sorgen dafür, dass der Kontakt nicht ganz abreißt.
Offiziell herrscht Funkstille. Trotzdem erreichen Neuss und das Komitee für internationale Beziehungen, das am 25. Oktober tagt, Nachrichten zur Lage in der russischen Partnerstadt Pskow. „Dort denkt man, dass wir immer noch Partner sind“, berichtet Harald Beschoten, der zweite Vorsitzende des Vereins „Druschba – Freundschaft“. Er reiste rein privat nach Pskow – obwohl seine Frau, die aus der Partnerstadt stammt, nach russischer Lesart als Dissidentin gilt. Zivilgesellschaftliche Kontakte weiterführen, so gut und so lange es geht, sei wichtig, sagt er.
Klaus Eberl aus Wassenberg, Mitbegründer und Vorsitzender der Initiative Pskow (IP) in der Evangelischen Kirche im Rheinland, sieht das genauso. Auch der Oberkirchenrat a.D. reiste nach Pskow, obwohl ihm nicht wenige davon abgeraten hatten. Aber er wollte die Einrichtungen für Menschen mit Behinderung besuchen, die die Kirchengemeinde Wassenberg und die IP seit rund drei Jahrzehnten fördern – trotz vieler Hürden durch den aktuellen Ukraine-Krieg. Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine unterhielt Pskow viele Städtepartnerschaften, pflegte Kooperationsprojekte wie das der IP Wassenberg. Einige Partnerstädte – etwa in Polen und Estland – hätten die Zusammenarbeit mit Kriegsbeausbruch aufgekündigt, berichtet Beschoten. „Wir sind froh, dass Neuss die Partnerschaft nur ruhend gestellt hat.“ Was ihn vor Ort aber wunderte, waren die vielen Delegationen aus Weißrussland und China. Mit einer Millionenstadt im „Reich der Mitte“ sei Pskow inzwischen partnerschaftlich verbandelt. Die Reise nach Russland erlebten Beschoten und Eberl unterschiedlich. Während der Neusser keinerlei Probleme bei der Einreise hatte, spricht der Wassenberger von einer nahezu abenteuerlichen Anreise über das lettische Riga. Swetlana Andrejewa vom Heilpädagogischen Zentrum (HPZ) in Pskow konnte ihn nicht abholen, da ihr Dauervisum nach den jüngsten Beschlüssen der baltischen Staaten nicht mehr anerkannt wird. Aber eine Mitarbeiterin der Pskower Stadtverwaltung hatte einen Freund in Riga, der Eberl bis zur Grenze fuhr. „Die estnischen Grenzer fragten mich erstaunt, warum man als Deutscher freiwillig nach Russland reist“, berichtet Eberl – der darauf nur seinen Pskower Ehrenbürger-Ausweis zeigte.
„Man spricht vom 24. Februar, nicht von Krieg“
Kaum in Pskow angekommen, stand für Eberl bereits ein Treffen mit der stellvertretenden Gouverneurin des Oblast Pskow in der Werkstatt für behinderte Menschen an. „Wir versicherten einander“, so Eberl, „dass auch in diesen turbulenten Zeiten die erfolgreiche humanitäre Zusammenarbeit weitergehen muss.“ Das Wort Krieg sei nicht ausgesprochen worden. Eberl: „Man spricht vom 24. Februar.“
Wie geht man aber im persönlichen Gespräch um mit dem Thema Krieg? Beschoten hielt sich dabei an eine einfache Leitschnur: „Lass dich nicht einbinden und rede nicht über Politik.“ Man habe die russischen Gesprächspartner nicht zu regierungskritischen Aussagen animieren wollen – wohl wissend, dass ihnen dafür harte Konsequenzen gedroht hätten, sagt er.
Eberl wiederum wollte schon hören, wie die Einstellung der Menschen in Pskow zum Einmarsch in der Ukraine ist – und fand das Ergebnis ernüchternd. Im privaten Dialog, etwa abends im Hotel, hörte er zwar unterschiedliche Reaktionen, aber es überwog die Zustimmung zu Putins Vorgehen. „Meine Vorstellung war, dass die Propaganda und die Medien zwar dazu führen, dass die Menschen in Russland den Krieg als gerecht empfinden, aber dass man durch bessere Informationen andere Sichtweisen ermöglichen kann“, sagt Eberl. Diese Einschätzung habe sich aber durch die Reise verändert. Bei Gesprächen habe er das Gefühl gehabt, „als würden wir uns in unterschiedlichen Galaxien bewegen“. In Russland gebe es offenbar ein weit verbreitetes Geschichtsbild, wonach Russland immer das Opfer ist und seit Jahrhunderten von außen bedrängt wird. Eberl: „Dieses Bild ist so tief verankert, dass es für die Propaganda leicht ist, daran anzuknüpfen.“
Wie passt diese ernüchternde Erfahrung zum Geist der Versöhnung und Toleranz, die seinerzeit ein Auslöser aller Pskow-Projekte war? „Unser Ziel war nicht, das Russland unsere Weltsicht übernimmt“, sagt Eberl. „Wir wollten für Menschen, die es dort besonders schwer haben, neue Perspektiven schaffen. Und das ist uns gelungen und hat von Pskow aus Standards für das ganze Land gesetzt.“ Eberl erinnert an die tristen russischen „Internate“, Anstalten, in denen Behinderte mehr oder weniger weggesperrt wurden. Sie gehören heute weitgehend der Vergangenheit an. Und dies maßgeblich angeregt durch die Beispiele aus Pskow, die auch die Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten in der Behindertenarbeit einbeziehen.
Dass die Arbeit der Vergangenheit auch eine Brücke in die Zukunft schlagen kann, daran glaubt Beschoten fest. Man könne mit der Pskower Administration noch sprechen, ohne Misstrauen zu erregen. „Dafür hat man zu lange zusammengearbeitet und Projekte realisiert.“ Erst recht erwartet er in der Zukunft keine Probleme bei der Wiederaufnahme der Beziehungen, wenn in Pskow weiter die Menschen in Verantwortung stehen, „die wir kennen und die auch schon in Neuss waren“.
Eberl war bei seinem Besuch mehr um die Gegenwart bemüht. Er konnte beim Besuch der Behindertenwerkstatt auch den Rohbau eines neuen Traktes für die Tagespflege besichtigen, wo ab dem kommenden Frühjahr rund 50 Erwachsene mit schweren geistigen und mehrfachen Behinderungen betreut und in ihren Alltagskompetenzen gefördert werden sollen. Aktuell ist dieses Projekt der aktuelle Arbeitsschwerpunkt der Initiative Pskow, die nach Beschotens Darstellung Kontakt mit dem „Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Neuss-Pskow“ hat. In der Behindertenwerkstatt und dem HPZ, zu dem neben der Förderschule auch eine Frühfördereinrichtung und Kindergärten gehören, laufe der Betrieb wie immer, fasst Eberl seine Eindrücke zusammen.