Kritik aus Neuss „Es wird bestraft, dass man hilft“

Neuss. · Wenn Patienten länger bleiben, als das Gesetz es vorsieht, muss die Klinik eine Strafe zahlen. Kritiker sehen ein Unrecht.

Oft müssen Patienten aus stationärer Behandlung in eine Folgeversorgung. Wenn das nicht sofort möglich ist, bleiben sie meist in der Klinik.

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Wenn die Behandlung abgeschlossen ist, wird der Patient entlassen. Wird Anschlusspflege benötigt, muss die Klinik das organisieren. Wenn nicht, bleiben die betroffenen Patienten so lange, bis die anschließende Versorgung gewährleistet ist. So geschehen im Fall einer 83-jährigen Patientin des Johanna-Etienne-Krankenhauses. Für sie fand sich zunächst kein Reha-Platz. Sie blieb länger im Krankenhaus, wie die Klinik auf Facebook postete. Und für diese Leistung, den Aufenthalt der Patienten auch nach Ablauf der vorgeschriebenen Dauer, sollen Krankenhäuser eine Strafe von mindestens 300 Euro pro Fall zahlen. „Im Grunde wird kriminalisiert, dass man hilft“, sagt ein Sprecher der St.-Augustinus-Gruppe, Träger des Etienne- und Alexius/­Josef-Krankenhauses.

Ende 2019 wurde das Gesetz zum Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) verabschiedet, rückwirkend zum 1. Januar trat es in Kraft. Kliniken, die Medizinischen Dienste, die die Abrechnungen prüfen, und Krankenversicherungen sollen zusammenarbeiten, um Kosten für Krankenhausaufenthalte zu senken.

Doch das Gesetz steht in der Kritik: Nach Angaben der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen sind in etwa 50 Prozent der Fälle fehlende Anschlussversorgungen die Ursache, warum die Vorgaben nicht eingehalten werden. Auch wenn die stationäre Behandlung abgeschlossen ist, sind manche Patienten noch nicht fit genug, um allein in ihre Wohnungen zurückzukehren. Das komme häufig und regelmäßig vor, sagt ein Sprecher weiter. „Wir können die Patienten ja nicht ins Nichts entlassen.“

Patienten fänden selten
schnell einen Anschlussplatz

Andrea Albrecht, Pflegedirektorin des Lukaskrankenhauses, sieht das Problem ebenfalls nicht im fehlenden Willen der Krankenhäuser, sich zu kümmern: „Ganz im Gegenteil, wir haben ein Interesse daran, dass die Betten wieder frei werden.“ Es funktioniere jedoch ganz selten, dass Patienten sofort einen Platz in Kurzzeit- oder Langzeitpflege bekommen oder ein ambulanter Pflegedienst die Betreuung übernehmen könne. „In einem Fall mussten wir bei 90 ambulanten Pflegediensten anrufen, bis wir einen freien Platz gefunden haben“, sagt Albrecht. Doch es gibt noch viele weitere Patienten, die bereits seit Monaten im LKH auf Anschlussversorgung warten. „Es gibt wegen des eklatanten Fachkräftemangels in der Pflege einfach zu wenig Plätze“, sagt Albrecht.

Eine Lücke, für die sich Kliniken verantwortlich sehen, sie zu schließen. Denn die zusätzlichen Liegetage zahlen die Krankenhäuser bereits jetzt schon aus eigener Tasche. Durch die Strafzahlungen würden den Kliniken „erhebliche“ Finanzmittel entzogen werden. „Die wir eigentlich für neues Pflegepersonal benötigen würden“, sagt ein JEK-Sprecher.

Die Geschäftsführung der St.-Augustinus-Gruppe habe sich darum bereits auf Initiative der Krankenhausgesellschaft NRW an Politiker in den Gesundheitsausschüssen gewendet und sie aufgefordert, die Änderungen zurückzunehmen.