Neuss: Von Ehrengästen und Frackzwang
Die strengen Regeln des Komitees wurden auch schon durchbrochen.
Neuss. Feierlich, würdig und durchaus auch fröhlich geht es zu, wenn die Ehrengäste des Neusser Bürger-Schützen-Vereins mit dem Komitee die Königsparade abnehmen. In diesem Jahr kommt neben anderen Gästen Innenminister Thomas de Maizière, und sicherlich hat er Frack und Zylinder im Gepäck. So verlangt es die strenge Vorgabe des Komitees. Damenteilhabe ist da natürlich ausgeschlossen.
Das funktioniert - fast immer. Als Ehrengäste eingeladen werden stets die direkt gewählten Neusser Bundestags- und Landtagsabgeordneten. 1985 hatte überraschend der Landespolitiker Friedhelm Farthmann den Wahlkreis erstmals direkt für die SPD gezogen. Er war nicht eben Freund des Fracks, das hatte er bei der Einladung zur Bremer Schaffer-Mahlzeit schon kundgetan und war ausgeladen worden.
In Neuss erschien der Abgeordnete im dunklen Anzug und nahm die Parade mit ab. Empörung und Ärger waren groß und wurden noch größer, als er im Jahr darauf einen Mantel über dem Anzug trug. "Das sah das Komitee dann als wirkliche Provokation, obwohl es gar nicht so gemeint war", erinnert sich ein Teilnehmer.
Ein anderer Spitzenpolitiker, CDU-Mitglied, mochte auch keinen Frack. Jürgen Rüttgers war als Zukunftsminister des Bundes geladen. Er kam ebenfalls im Anzug, ob schwarz oder anthrazitfarben, darüber gehen die Meinungen auseinander. Höflich gebeten, machte er sich auf den Weg zum Rathausbalkon.
Oben bei den netten Damen sei es ohnehin viel schöner, soll er freundlich kommentiert haben. Den Frackzwang hat er nicht vergessen: Als sich Jahre später Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, auf die Ehrengast-Rolle einstellte, musste er sich vom Ministerpräsidenten noch einige Bemerkungen anhören.
Kein Frackproblem hatte Annemarie Renger. Die SPD-Bundestagsabgeordnete mit Neusser Wahlkreis war, weil ihrem Konkurrenten Heinz Günther Hüsch unterlegen, über die Liste im Parlament vertreten und somit nicht "automatisch" Ehrengast. In Bonn bekleidete sie über Jahre das Amt der Bundestagspräsidentin, das zweithöchste im Staat, und wurde deshalb eingeladen. Im Gegensatz zum Bundesminister wollte sie nicht bei den Damen sitzen. Das Abnehmen der Parade wurde ihr - selbstverständlich! - verweigert.
So organisierten Freunde unter den Schützen ein Klappstühlchen, stellten es schräg gegenüber des Komitee-Standplatzes an der Tribüne auf. Dort saß die Bundestagspräsidentin während der Königsparade. Michael Hohlmann erinnert sich: "Als die Schützengilde vorbeizog, wurden erst - "Augen rechts" - König und Komitee gegrüßt. Und ein paar Meter weiter rief Major Karl Herbrechter hoch zu Ross "Augen links". Und wir grüßten Annemarie Renger."