Schwerstarbeit im Glockenturm
Beiern wie vor 500 Jahren: Am Weißen Sonntag werden die Glocken von St. Quirin wieder von Hand angeschlagen.
Neuss. Den Klang und Rhythmus kennen alle. Vor dem Weißen Sonntag in gut einer Woche, vor dem Quirinustag und Fronleichnam künden die ganz speziellen Tonfolgen vom Fest, was folgen wird. Dann stehen im Turm von St. Quirin wieder die Männer der Beiergemeinschaft und schlagen von Hand die beiden größten und schwersten Glocken an.
Beiern heißt dieser Brauch, und in Neuss hat er, wen wundert’s, mit exakt der heute noch geschlagenen „Melodie“ eine jahrhundertealte Tradition. Bernd Ermbter ist offiziell der Beiermeister, was er selbst allerdings nicht hervorheben mag. Schon sein Vater hat in St. Quirin gebeiert, er ist dabei, seit er 17 ist. Die meisten seiner neun Mitstreiter kommen wie er aus dem Feuerwehr-Löschzug Stadtmitte. „Wir sind kein Verein, kein Klub, wir sind eine Gemeinschaft. So gibt es uns schon ziemlich lang“, sagt er. Ziemlich lang heißt mehr als 500 Jahre. Eine Quittung von 1501/02 belegt die Entlohnung von Beier-Leuten.
Für das erste Beiern des Jahres am Samstag nach Ostern sei keine „Orga“ nötig, sagt Ermbter. Jeder weiß Bescheid: Treffpunkt 16.30 Uhr vor dem Hauptportal. Bepackt mit den Seilen und dem Beier-Buch, in das sich zu allen Terminen alle Beteiligten eintragen, geht es 221 Stufen bis zum Glockenturm hoch. Dort steht eine Quirinuskerze, „die muss brennen, sonst geht nichts“, dann heißt es Stricke an die Klöppel anbringen und den Glockenschlag um 17 Uhr abwarten.
Geschlagen werden die fast sechs Tonnen schwere Quirinusglocke, deren Klöppel allein neun Zentner wiegt, und die kleinere Marienglocke. Die Klöppel werden mit den Seilen ein gutes Stück an die Glocken-Innenwand herangezogen und festgebunden, damit ein kurzer Zug genügt.
Nach drei Angelusschlägen geht es los: Das charakteristische Dong-Dong zweimal an der Marienglocke, dann folgt die Quirinusglocke. Acht bis neun Minuten dauert das, dann ist Pause, es erklingt der — elektronisch gesteuerte — Viertelstundenschlag, dann nochmal die neun Minuten, Halbstundenschlag, letztes verkürztes Beiern bis zum Geläut für die Messe um 17.45 Uhr. So ist auch der Ablauf vor dem Hochamt am nächsten Tag.
Bernd Ermbter bekennt, er sei „stolz, dabeisein zu dürfen“ — und die Tradition zu bewahren. Und wenn sich dann wieder einmal „alde Nüsser“ auf eine Bank am Münsterplatz setzen, zuhören und dann sagen „War gut, aber beim zweiten Mal ein bisschen schnell“, dann ist Ermbter sehr zufrieden.
Niemals würden die Beier-Leute die Melodie ändern. Vor allem wegen der jahrhundertealten Überlieferung. Zum anderen aber, weil an diesen extrem schweren Glocken komplizierte Tonfolgen kaum möglich sind. Mehr als zwei der sieben Glocken sind ohnehin nicht zu „bespielen“.
Bernd Ermbter jedenfalls freut sich schon auf Samstag. Alles wird glatt gehen. Gestört wurden die Männer im Turm nur ein Mal: Da gab es Alarm für den Löschzug Mitte. „Drei von uns sind runter, der Rest hat weitergemacht“, sagt Ermbter. Natürlich. Was denn sonst?