Der Aalschokker im Silbersee zwischen Neuss und Dormagen ist nicht nur ein verrostetes Wrack, das dort seit den 1990er-Jahren auf Grund liegt. Er ist auch so etwas wie ein Wasserstandsanzeiger. Manchmal ragt nur der Mast heraus, meist sind noch Bug und Steuerrad zu sehen, derzeit aber erhebt sich das Geisterschiff allmählich wieder. Denn der Silbersee „leert“ sich, weil der Rheinpegel sinkt. Passierte Mitte Januar noch die erste Hochwasserwelle Neuss, wird nun – nach Wochen ohne nennenswerte Regenfälle – von Niedrigwasser gesprochen. Dramatisch ist die Lage noch nicht, aber es wird zunehmend ungemütlich.
Für die Neusser Ortsgruppe der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) beginnt die Wachsaison erst nach Ostern, wie Sprecher Franz-Michael Rennefeld erklärt. Derzeit werden die Boote gewartet (inklusive Hochwasserboot sind es drei Stück) und die Wochenenden dafür genutzt, Wachstationen und Material auf Vordermann zu bringen. Quasi eine Art Frühjahrsputz. Um die Einsatzbereitschaft sorgt sich Rennefeld nicht: „Wir lassen die Boote über den Anleger in Uedesheim ins Wasser. Im Zweifel zieht der Trailer sie eben weiter runter. So lange Wasser da ist, ist auch unser Boot da und einsatzbereit.“
Auch die Wassersportler starten erst am Wochenende nach Ostern in die Saison. Doch in ihrer Whatsapp-Gruppe werden bereits Sorgen laut, wie Detlef Rohr, Sprecher der Wassersport treibenden Vereine in Neuss, sagt. Der traditionsreiche Neusser Ruderverein etwa, mit 635 Mitgliedern der größte in Nordrhein-Westfalen, ist auf die Pritsche im Sporthafen angewiesen, um seine Boote aufs Wasser zu lassen. Die aber liege jetzt schon auf den Wackersteinen, die normalerweise unter Wasser sind, an der Uferbefestigung auf, erklärt Detlef Rohr. Sollte der Pegel unter einen Meter fallen, sei die Pritsche nicht mehr nutzbar. Dann müssten die Ruderer ihre Boote erst bis zur Slipanlage des Neusser Wassersportvereins bringen.
Bei den Seglern sind jetzt schon einige Boote ausgebremst. Eine entsprechende Rückmeldung hat Detlef Rohr vom Yachtclub Novesia erhalten. Alle Boote mit 1,25 Metern Kieltiefe kommen nicht mehr raus aus dem Sporthafen. Solche, die woanders ins Wasser gelassen wurden, kommen nicht rein zu ihrem Liegeplatz. Beim Neusser Wassersportverein sind die Boote betroffen, die auf der Landseite liegen. „Die Fahrer müssen erst bis ins tiefe Wasser paddeln, um den Motor ins Wasser bringen zu können“, erklärt Rohr.
All das trübt die Vorfreude auf den Saisonstart. Das gemeinsame Anfahren – in diesem Jahr ausgerichtet vom Neusser Wassersportverein, der sein 70-jähriges Bestehen feiert – soll am Sonntag, 27. April, wieder in größerem Rahmen stattfinden. Eine Live-Band ist gebucht, der Bürgermeister hat sein Kommen zugesagt, und alle freuen sich auf die Bootsparade. Die werde aber, wie es aussieht, „mit weniger Booten stattfinden“ als gewünscht, meint Rohr.
Eigentlich hätte bis zu diesem Termin auch die seit einigen Jahren überfällige Entschlammung des Sporthafens erledigt sein sollen. Doch der dafür anvisierte Zeitplan aus dem Jahr 2024 ist schon lange hinfällig. Einer öffentlichen Ausschreibung der Stadt von Januar 2025 wird wohl eine zweite folgen. Zuvor würden die Neuss-Düsseldorfer Häfen „den Sporthafen auspeilen und Bodenproben vom Sediment nehmen“, berichtet Detlef Rohr. Wenn diese nachweislich nicht belastet sind und normal entsorgt werden können, senke das die Kosten. Das Ausbaggern oder Absaugen des Schlamms könnte dann voraussichtlich im Herbst stattfinden – abhängig vom Wasserstand.
Am aktuellen Pegel von 1,07 Meter (Stand Freitagvormittag), Tendenz sinkend, wird wohl auch der vorhergesagte Regen für die kommende Woche nichts ändern. „Regnen muss es nicht bei uns, sondern im Süden“, sagt Thomas Düttchen. Der Pressesprecher der Neuss-Düsseldorfer Häfen erklärt aus Sicht der Binnenschifffahrt: „Zum Pegelstand kommen noch 1,20 Meter Abladetiefe hinzu. Daran orientiert man sich und guckt in Rotterdam, wie sich das in drei Tagen entwickelt.“ Solche Schwankungen bei den Pegelständen gebe es immer, die Frage sei nur, wie lange sie anhalten. „Derzeit können alle Schiffe fahren, alles kommt an“, sagt Düttchen, „aber es wird deutlich weniger geladen, was die Kosten verteuert“.
Das bestätigt Robert Lamers, Geschäftsführer der Fortin Mühlenwerke, einem der größten Haferflockenhersteller Europas – ansässig inmitten des Düsseldorfer Hafens. Der aktuelle Wasserstand erfordert das Verteilen der Ladung auf zwei Schiffe, wo normalerweise für 3000 Tonnen pro Woche ein Binnenschiff ausreicht. Das kostet das Familienunternehmen einen sogenannten Kleinwasserzuschlag, der mit sinkendem Pegel immer weiter steigt.
Die Sorgen kennt natürlich auch Deichgräf Gerd Eckers vom Tiefbaumanagement der Stadt Neuss. „Für uns ist das aber quasi eine Phase, in der es keine besonderen Aufgaben gibt“, erklärt er, „wir unterhalten nichts und müssen nichts begutachten, denn das Gewässer gehört ja dem Bund“. Aber natürlich bestehe da ein großes Interesse – „da schlägt ja unser Herz für“. So kann die Situation für Sichtungen genutzt werden: Wie steht es um die Buhnen? Was wird sichtbar? Schließlich kommt es vor, dass nicht nur der Aalschokker wieder auftaucht, sondern auch mal ein versenkter Einkaufswagen oder E-Scooter.