Wo Frauen Zuflucht finden
Raus aus der Gewaltspirale: Die Zahlen belegen jedes Jahr aufs Neue, wie wichtig das Frauenhaus ist.
Neuss. Fast 100 Frauen haben im vergangenen Jahr in diesem Haus irgendwo in Neuss Schutz gesucht und gefunden, mit ihnen kamen 129 Kinder. Frauen, die geschlagen und sexuell misshandelt, eingesperrt, gedemütigt, mit Waffen verletzt wurden. Deutsche und Ausländerinnen, junge und ältere Frauen, solche aus Neuss und andere, die möglichst große Distanz zu ihrem Peiniger schaffen wollen.
Zum Jahresbericht des Frauenhauses gehört auch die Kehrseite: 76 Frauen und 58 Kinder fanden keine Aufnahme — es gab keinen Platz für sie, die ihn doch dringend benötigt hätten. Das Neusser Frauenhaus, getragen vom SkF (Sozialdienst katholischer Frauen) und mitfinanziert von Stadt, Kreis und Land, gibt es seit 27 Jahren.
„Und seitdem sind wir ein Projekt“, sagt die Leiterin Elke Kroner. Soll heißen: Ein Projekt, das keine Sicherheit der Finanzierung kennt, das als „freiwillige Aufgabe“ mit allen Risiken behaftet ist, was dauerhafte Planung und verlässliche Gestaltung der Arbeit angeht. „Wir sollen und wollen Sicherheit bieten und sind selbst nicht sicher“, fasst es Elke Kroner zusammen.
Mit ihren Mitarbeiterinnen bietet sie den gepeinigten Frauen die Möglichkeit, zunächst einmal von ihren gewalttätigen Lebenspartnern Schutz zu finden. „Parteilich mit den Frauen zu arbeiten“ ist die Leitlinie des Teams um Elke Kroner: Anke Bindseil, Brigitte Hartmann, Annette Winkens und Jennifer Wessel beraten und helfen, unterstützen die Frauen bei der Wiedergewinnung ihres Selbstwertgefühls. Die Anonymität ist dabei Grundvoraussetzung.
Wer die Neusser Telefonnummer 150 225 wählt und nach dem ersten Gespräch für eine Aufnahme infrage kommt, dem wird ein neutraler Ort mitgeteilt, dort wird die Frau dann abgeholt. Längst nicht jede Frau in Not erhält Zuflucht in dem Haus, an dessen Eingangstür kein Name steht.
Elke Kroner legt Wert darauf, die eigentliche Aufgabe des Frauenhauses nicht aufzuweichen: Schutz nach Gewalt in Paarbeziehungen. „Wir können keine Kinderschutzeinrichtung sein“, sagt sie, auch wenn etwa Jugendämter immer wieder einmal um Aufnahme bitten, „wir sind kein Heim“. Auch Frauen, die sich nicht selbst versorgen können, Suchtkranke etwa oder Pflegebedürftige, können nicht aufgenommen werden. Die Frauen im Frauenhaus tragen die Verantwortung für sich und ihre Kinder selbst.
Die Zahl der Frauen aus Neuss und von außerhalb, die vor nackter Gewalt und unerträglicher Demütigung fliehen, oft mit ihren Kindern, wird nicht geringer. Über Einzelschicksale sprechen die Mitarbeiterinnen nicht, zu wichtig ist ihnen der Schutz der Bewohnerinnen. Neben ihrer eigentlichen Arbeit hat das Team zunehmend mit Büroarbeiten zu tun. „Wie gern würden wir sagen: Hier wird unbürokratisch geholfen. Das ist aber nicht so“, sagt Elke Kroner bitter. Hinzu kommt eine Ungerechtigkeit, der die Mitarbeiterinnen nur schwer begegnen können: Frauen wie Auszubildende, Studentinnen oder die mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus haben kein Recht auf kostenlose Aufnahme. Sie müssten selbst zahlen — 18,60 Euro pro Person pro Tag, auch für jedes Kind. „Das können viele einfach nicht“, sagt Elke Kroner.
Die Probleme nicht nur des Neusser Frauenhauses sind bekannt. Zahllose Gutachten sind geschrieben. „Wir wollen die Ungleichbehandlung der Frauen abschaffen. Wir wollen Verlässlichkeit für die misshandelten Frauen. Wir wollen endlich verlässliche Regelungen zur Finanzierung von Frauenhäusern.“ Denn die gibt es nach wie vor nicht. Um einmal mehr diese Forderungen deutlich zu machen, nutzen Frauenhaus-Team und SkF den Wahlkampf und haben am Mittwoch Bundestagsabgeordnete und Kandidaten zur Diskussion eingeladen. Ihre Grundaussage: Der Schutz vor Gewalt muss staatliche Pflichtaufgabe sein.