Niedersprockhövel: Ein Bundesrichter auf der Kanzel

Thomas Wagenitzwurde am Sonntag in den Gottesdienst berufen.

Niedersprockhövel. Wer Thomas Wagenitz am Sonntag von der Kanzel der Zwiebelturmkirche aus predigen hörte und sah, konnte glauben, der freundliche weißhaarige Mann im schwarzen Talar hätte sein Leben lang nichts anderes gemacht. Sprachgewand schildert er die Erzählung von der Verklärung aus dem Matthäus-Evangelium, als den Jüngern Petrus, Johannes und Jakobus bei einer Bergtour Gott in einer Wolke erscheint und ihnen verkündet, dass Jesus sein Sohn ist.

Dabei ist Wagenitz ansonsten eher gewohnt, Wissen zu vermitteln statt Glauben, wie er nach seiner Premiere als Laienprediger selbst bekennt. Der Jura-Professor aus Obersprockhövel ist Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe und dort Experte für Familien- und Mietrechtsangelegenheiten. Drei-, viermal im Jahr vermittelt er außerdem als Honorarprofessor Studenten an der Luther-Universität in Halle die Grundlagen bürgerlichen Rechts.

Warum noch predigen? "Theologie hat mich schon lange interessiert", begründet der 63-Jährige - Geburtsdatum 24.Dezember -, warum er sich gegen Ende seiner beruflichen Laufbahn neuen Horizonten zugewendet hat und sich in Wochenendseminaren zum Laienprediger ausbilden ließ. "Vielleicht hat auch der Tod seiner geliebten Frau eine Rolle gespielt", sagte Superintendent Ingo Neserke, der Wagenitz vor der evangelischen Gemeinde Sprockhövel in sein Amt einführt. "Wer auch derart schmerzhafte Erfahrungen gemacht hat, ist bei der Verkündigung noch glaubwürdiger."

"Es gibt im Glauben nicht nur Höhen, sondern Tiefen", predigt Wagenitz im Anschluss und bietet seine Auslegung der Matthäus-Geschichte von der Verklärung. Erst im Alltag zeige sich, wie fest jemand im Glauben ist, nicht im Hochgefühl wie auf dem Berg-Gipfel. "Mit der Auslegung von Texten habe ich ja auch in meinem Beruf zu tun", gibt Wagenitz selbst eine Erklärung, warum ihm das von der Kanzel aus so gut gelingt. Dabei habe er durchaus Probleme mit der mystischen Geschichte gehabt, aber sie sei im liturgischen Kalender nun einmal dran gewesen.

Vor 15 Jahren war der gebürtige Berliner mit seiner Frau nach Obersprockhövel gezogen. Das lag nahe, sie hatte in Bochum eine Zahnarztpraxis. Wagenitz outet sich als Sprockhövel-Fan: "Mir gefällt die hügelige Landschaft." Mit der Gemeinde hat er einen weiteren Ankerpunkt. "Drei-, viermal im Jahr werden wir ihn sicher Fragen, wovon er predigt" sagt Gemeindepfarrer Arne Stolorz. Der Sonntag nach Himmelfahrt ist bereits fest gebucht.