Analyse Warum die Kriminalitätsstatistik niemals die Wahrheit sagt
Düsseldorf · Die Opposition in NRW kritisiert, dass die Aufklärungsquote der Polizei in die Irre führt. Das ist richtig – aber nicht erst seit heute. Eine Analyse.
Lächelnd hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) jüngst die Kriminalitätsstatistik 2018 präsentiert: die Zahl der Straftaten auf dem niedrigsten Stand seit fast 30 Jahren, die Aufklärungsquote mit 53,7 Prozent auf einem Rekordhoch. Ein so hoher Anteil von Fällen sei nie zuvor geklärt worden. Im Landtag gab es prompt Zwist: Die Zahlen suggerierten, dass mehr als die Hälfte der Straftaten auch gesühnt würden, so die Opposition. Tatsächlich aber führe nur ein Bruchteil zu Anklagen oder gar Verurteilungen – die Statistik lügt oder sagt zumindest die Halbwahrheit.
Wer verstehen will, warum die Polizeistatistik mit der Strafverfolgung nichts zu tun hat (und manchmal auch nicht mit der Wahrheit), dem sei ein fast historischer Düsseldorfer Fall empfohlen: 2008 wurde im Präsidium eine Kriminalitätsstatistik für das Vorjahr veröffentlicht. Mit einer Aufklärungsquote von unschlagbaren 100 Prozent bei den „Straftaten gegen das Leben“. In dieser Quote enthalten war allerdings auch ein Fall, der nicht einmal 2007 passiert war: Es ging um eine 27-Jährige, die im Jahr 2004 erschlagen in ihrer Wohnung gefunden worden war.
Die Polizei hatte ihre Ermittlungen im Jahr 2007 abgeschlossen – weshalb er in diesem Jahr in die Statistik einfloss – und der Staatsanwaltschaft die Akte geschickt. Mit einem Tatverdächtigen. Man war sicher: Der Exfreund hatte es getan. Allerdings war der Staatsanwalt da weniger überzeugt. Es dauerte weitere vier Jahre, bis er letztlich Anklage gegen den Mann erhob. Das Verfahren endete 2013 mit einem Freispruch. Die Indizien reichten für eine Verurteilung nicht aus.
Ein statistisch geklärter Mord, für den niemand bestraft wurde
Was laut Kriminalitätsstatistik also ein 100-prozentiger Ermittlungserfolg war, war vor Gericht zu 100 Prozent ein Flop. Ein statistisch gesehen geklärter Mord, der niemals zu einer Bestrafung geführt hat. So gesehen eine lügende Statistik. Und ein Paradebeispiel für den Gegenstand der aktuellen politischen Debatte, sagt Andre Faßbender, Sprecher im Landeskriminalamt: „Es ist eine alte Diskussion. Es wird immer versucht, die beiden Statistiken für Kriminalität und Strafverfolgung zu vergleichen – und das geht nicht.“
Das dürfte auch die Opposition wissen. Denn die Statistik wird seit Jahr und Tag nach bundeseinheitlichen Kriterien erstellt – wenn man sie schon nicht mit der Strafverfolgungsstatistik vergleichen kann, soll sie zumindest deutschlandweit vergleichbar sein. Und auch Rot-Grün hat sich in der Regierung schon mit „unredlichen Zahlenspielchen“ herumärgern müssen. Diese Formulierung fand 2013 der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) für ein Statistik-Scharmützel: Das Bundesinnenministerium hatte sich seinerzeit einer ebenfalls gängigen statistischen Methode bedient und Kriminalitätsraten für die Bundesländer berechnet – wie viele Straftaten gibt es auf 100 000 Einwohner? Da landete NRW ganz oben im Ranking, die Opposition aus CDU und FDP war alarmiert.
Was sinnvoll klingt, berechnet viele Faktoren nicht ein. So landet Düsseldorf bei den Straftaten pro Einwohnern etwa stets auf einem Spitzenplatz – was aber auch an Millionen Fluggästen des Airports, Messegästen und Touristen liegen dürfte, die eben nicht mitgezählt werden. Auch diese Statistik berichtete also Halbwahrheiten. Das fällt immer dem vor die Füße, der sie gerade politisch vertritt.
Das ist jetzt also der CDU-Innenminister Reul, dem Rot-Grün vorwirft, seine Zahlen taugten nicht für wahre Aussagen über die Sicherheitslage. Der Vorstoß, die Polizei- und die Justizstatistik miteinander zu verbinden, um nachzuvollziehen, was aus einer Anzeige wirklich wird, ist auf den ersten Blick sinntragend, organisatorisch umsetzbar aber kaum. Und es wäre falsch, die Kriminalitätsstatistik vollständig zu diskreditieren. Sie ist kein Spiegelbild der Wirklichkeit, aber doch eine Annäherung. Die Rekord-Aufklärungsquote bedeutet immerhin, dass die Polizei noch nie in so vielen Fällen Verdächtige ermittelt hat.