Neue Aktionen des Künstlers Günther Uecker Nie wieder ist jetzt wieder

Interview | Düsseldorf · Der Düsseldorfer vollendete seine Domfenster in Schwerin und stiftet zwei Prägedrucke zugunsten der Erinnerungsstätte Lilli Marx.

Günther Uecker unter den von ihm geschaffenen Kirchenfenstern in Schwerin, die im Dezember der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.

Foto: picture alliance/Markus Scholz/dpa

„Das Eigentliche ist noch nicht getan.“ Diesen Satz wiederholte Günther Uecker gebetsmühlenartig in fast jedem Gespräch, das er in der Vergangenheit führte. Nun gewinnt man den Eindruck, er nähere sich seinem Ziel. Im ablaufenden Jahr hat er zwei künstlerische Aktionen vollendet, die ihm Herzensanliegen sind und gleichzeitig für seine Empathie und Großzügigkeit stehen. Der Jüdin Lilli Marx (1921–2004) und Ihrem Andenken hat er zwei Prägedrucke gewidmet, deren Verkaufserlös er größtenteils spenden wird, um die Gedenkstätte in Benrath auszustatten. Und in Schwerin hat er im Dezember seine vier blau-weißen Domfenster vollendet und für seine künstlerische Arbeit kein Honorar erhoben.

Herr Uecker, nach zwei wohltätigen Aktionen werden Sie im März nächsten Jahres ihr 95. Lebensjahr vollenden. Wie geht es Ihnen?

Günther Uecker: Ich bin sehr erschöpft. Doch der Wille um das Werk hält mich an, weiter zu arbeiten. Die beste Zeit ist, wenn ich nur für mich arbeite.

Sie haben Ihren Prägedruck von 1995, „Davidstern“, neu aufgelegt, um den Menschen eine Verehrung entgegenzubringen, die als Juden nach dem Holocaust ins Land der Täter zurückgekehrt sind. Was treibt Sie an?

Uecker: Ich will damit meine unendliche Zuneigung und mein Mitgefühl für die Juden ausdrücken. Etwas Unlimitiertes – „Unlimited“ nenne ich daher den Titel des einen Blattes. In der Zahl unendlich. Auch mein Mitgefühl ist unlimitiert. Der Verleger Till Breckner und Afshin Derambakhsh unterstützen das Projekt. Den Erlös für diese Gedenkstätte an Lilli Marx zu stiften, war mein erster Gedanke. Mehr als das: Dass ich etwas stifte, worin meine Zuneigung zum Ausdruck kommt, gerade in der aktuellen Gefährdung der Juden in Deutschland und Europa.

Was hat Sie an Lilli Marx beeindruckt?

Uecker: Sie kehrte nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs schon 1946 nach Deutschland zurück, um sich für deutsche jüdische Bürger einzusetzen. 1949 war sie Mitbegründerin der ersten „Allgemeinen Jüdische Wochenzeitung“. Lilli Marx war eine furchtlose Journalistin und wollte den Menschen wieder eine Stimme geben, die ihre Stimme verloren hatten in der zerstörten Beziehungswelt von Mitteleuropa. Das beeindruckt mich zutiefst.

Als Sie im Sommer 2023 in Weimar Ihr Steinmal für die ermordeten Juden im Konzentrationslager Buchenwald errichteten, auf dem Platz von Goethe und Schiller, war die Stimmung in Deutschland schon wieder gekippt. Seitdem werden antisemitische Äußerungen und Aktionen lauter und mehr.

Uecker: Daher war die Beteiligung der Bevölkerung an meiner Aktion damals so groß. Es kam auch eine jüdische Familie zu mir, die in Weimar wohnte. Sie erzählte mir von ihrer Sorge, angesichts zunehmender Bedrohung in Deutschland bleiben zu können. Ich konnte das Problem noch intensiver sehen, weil das Kind vor mir geweint hat.

Durch Ihr Werk zieht sich der Faden der Mitmenschlichkeit und Empathie...

Uecker: Unlimitiert ist die Regung meines Herzens für diese jüdische Familie mit Kind und für alle anderen Juden. Es ist eine Herausforderung, Gesicht zu zeigen und mit offenem Herzen einen Beweis zu geben, dass man hier sein kann. Die Tötung von Menschen zu verhindern – das Anliegen muss uns alle verbinden. Was der israelische Ministerpräsident Netanjahu seit einiger Zeit im Nahen Osten veranstaltet, ist eine zu verachtende Politik, subjektiv nicht akzeptabel.

Was kann ein
Künstler bewegen?

Uecker: Er kann Bilder machen, die wirken und außerdem zu verkaufen sind. Mit Bildern gelingt es mir, die Verfolgung zu transformieren, dem Haus der Hauslosigkeit etwas entgegenzusetzen. Auch wenn man wie ich nicht direkt betroffen ist, so erlebt man das Ereignis, die Entwicklung des aktuellen Antisemitismus, als Bedrohung.

Man gewinnt den Eindruck, Uecker wird mit zunehmendem Alter immer politischer.

Uecker: Nie wieder ist jetzt wieder. Wenn ich meine Kunst letztlich für die Erhaltung von Leben benutzen kann – was will ich mehr? Nicht nur aus Freude an der Schöpfung, sondern als kleiner, aber gewichtiger Beitrag, auf dieser Erde weiterleben zu können angesichts der so bedrängenden Umstände.

Der Davidstern bildet eine schlichte Form aus zwei Dreiecken. Sie betten ihn in ein Gewitter aus
Stahlnägeln, die an
Bomben denken lassen.

Uecker: Die zwei ineinandergreifenden Dreiecke sind wie zwei Hände, deren Fingerspitzen sich berühren. Das religiös bedeutsame Symbol verliert durch seine Armut und Unscheinbarkeit seine Unschuld, wie mancher Mensch seine Existenzgrundlage. Durch seine Angewiesenheit auf wandernde Schatten zeugendes Licht weist der Stern hin auf die Unmöglichkeit einer idolatrisch entlastenden Verdinglichung unseres Gedenkens.

„Mal“ und „Unlimited“ heißen die Prägedrucke – und sie bilden ein Paar, gehören zusammen.

Uecker: Man kann sie auch auseinander nehmen – dann wird der eine den anderen zur Sehnsucht erwecken (lacht).

Sehnsucht ist ein großes Wort. Ihre Fenster für den Schweriner Dom, an denen Sie viele Jahre gearbeitet haben und in denen Sie wundervolle blaue Bögen wie Pfade zum Himmel angelegt haben, berichten von Ihrer Sehnsucht nach der Heimat Mecklenburg-Vorpommern.

Uecker: Meine Tränen flossen, meine Gefühle übermannten mich bei der Einweihung der Fenster. Jetzt ist das alles fertig, nach jahrelangen Vorarbeiten, zum Teil während der entbehrungsreichen Corona-Zeit. Beim Eintrag ins Goldene Buch der Landeshauptstadt Schwerin habe ich es genauso formuliert, wie ich es zutiefst empfinde: Der Ort der Sehnsucht ist die Heimkehr.

(abo los)