Ein düsteres Gefühl Die beklemmende Lockdown-Folge: Einsamkeit

Düsseldorf · Praktische Hilfen wie die Gesprächsangebote von Silbernetz sind das eine. Doch es sind weit mehr politische und private Initiativen notwendig, um den Betroffenen zu helfen. Einiges gibt es bereits.

Einfach mal mit jemandem reden – Silbernetz gibt älteren Menschen diese Gelegenheit. Screenshot aus einem Video des Vereins

Foto: Peter Kurz

Der grauhaarige alte Herr sitzt allein in seiner Wohnung. Auf dem Bett, dann am Tisch. Manchmal, wenn er ein Geräusch hört, denkt er: Sie ist zurück. Sie, mit der er Jahrzehnte verheiratet war. Seine in den leeren Raum gestellte Frage „Na, bist du wieder da?“, bleibt unbeantwortet. Sie ist tot.  Da ist niemand. „Mit wem soll man sich denn da unterhalten“, fragt er?

Silbernetz hat das eindrucksvolle kurze Video auf seine Internetseite eingebettet. Der Verein bietet vereinsamten älteren Menschen an, unter einer kostenfreien Rufnummer ihre Geschichten zu erzählen, einfach zu reden. „Seit März 2020 wurde unser Hilfstelefon mehr als 84 000 Mal angerufen“, sagt Silbernetz-Leiterin Celeste Copes. Mit dem ersten Lockdown hat der Verein das zunächst auf Berlin beschränkte Angebot auf ganz Deutschland ausgeweitet. 18 feste Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und 40 Freiwillige führten die Gespräche mit 7800 Anrufern.

Gut 85 Prozent der Anrufenden war über 60 Jahre alt, 83 Prozent lebten allein. Die Hauptanliegen waren „einfach mal reden“ (84 Prozent), in der Hälfte der Gespräche, so die Auswertung von Silbernetz, ging es um Einsamkeit. 40 Prozent sprachen über Alltagssorgen. Bei über einem Drittel der Gespräche waren Depression oder Ängste das zentrale Thema.

Dass der Verein längst nicht jeden Anruf annehmen kann, liegt an den Telefongebühren. Silbernetz-Leiterin  Copes: „Das Silbertelefon ist für die Anrufenden kostenfrei, für uns kostet ein 25-minütiges Gespräch circa 1,25 Euro. Hierfür sind wir auf Spenden angewiesen.“  Wer spenden oder mitmachen will, findet alle Infos auf silbernetz.org.

Einsamkeit ist freilich nicht nur ein Thema der Älteren. Die Monate des Lockdown haben das Problem verschärft. Auch für die Jüngeren und die ganz Jungen, denen ihre Kontakte abgeschnitten wurden. Da darf man sich nicht nur auf private Initiativen verlassen. Es muss strukturelle und weitflächige Hilfsangebote geben. Das hat auch die Politik verstanden. Im Bundestag macht sich eine Arbeitsgruppe der Unionsfraktion über eine nationale Strategie gegen die Bekämpfung der Einsamkeit Gedanken. Auch die CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag hat nun mit Experten ein digitales Werkstattgespräch durchgeführt, um Fakten und Ideen zu sammeln für ein möglichst schnelles politisches Reagieren.

Die Bundestagsabgeordnete Katharina Landgraf stellte ein Positionspapier der Unionsfraktion vor. Die Einsamkeit, die angesichts zunehmender Zahlen von Singlehaushalten und gestiegener Mobilitätserwartungen an die Menschen schon vor der Pandemie ein wachsendes Problem war, sei durch Arbeit im Homeoffice noch mal verschärft worden. „Digitale Arbeitsplätze können zur Vereinsamung beitragen, denn der ,Lebensraum’ Arbeitsplatz fällt plötzlich teilweise oder sogar ganz weg.“ Auch Kurzarbeit, das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, führe häufig zu Scham und Rückzug.

Besonders stark betroffen von dem Problem der Einsamkeit seien auch die 18- bis 39-Jährigen. Und bei jungen Menschen unter 20 Jahren, so die Analyse, nehme Einsamkeit besonders dynamisch zu. Noch gebe es wenige empirische Erkenntnisse über die Folgen von Kontaktbeschränkungen aufgrund von Corona für Kinder und Jugendliche. Doch träfen diese die Jugendlichen in einer sehr dynamischen Entwicklungsphase. Und gerade da verenge sich das soziale Umfeld in der Pandemie nun aber stark auf die Eltern und die Geschwister.

Es klingt wie ein Hilferuf an die Gesellschaft, wenn die Unionspolitiker des Bundestags in ihrem Papier appellieren, neben einer langfristigen Strategie gegen Einsamkeit jetzt schnell auf die zunehmende Einsamkeit in der Corona-Krise zu reagieren. „Wir rufen jeden in unserem Land auf, nach seinen Möglichkeiten und in seiner Zuständigkeit in den kommenden Wochen Brücken der Gemeinschaft zu bauen. Kirchengemeinden, Parteien und Vereine, soziokulturelle Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände, Bürgermeister, die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen, Unternehmen und Gewerkschaften, Freundes- und Familienkreise, Nachbarschaften und Hausgemeinschaften, jede und jeder Einzelne soll in seinem Umfeld aktiv werden.“

Jeder solle sich fragen: Was kann ich tun? Welche Nachbarin habe ich lange nicht gesehen? Welcher Kollege wohnt allein? Mit wem habe ich lange nicht mehr gesprochen? Telefonanrufe, kurze Kontakte an der Haustür mit Abstand und medizinischer Maske oder kurze Spaziergänge könnten ein Teil der Lösung sein.

Ein Einsamkeitsbeauftragter bei der Bundesregierung soll, so die Idee, zentraler Ansprechpartner sein und die Umsetzung der Strategie über die Ressorts und Ebenen hinweg koordinieren. Und: ein nationaler Aktionsplan Einsamkeit  solle konkrete Ziele definieren und Maßnahmen strukturieren, heißt es in dem Positionspapier.

Ziele, deren Realisierung Zeit braucht, die Menschen sind aber aktuell betroffen. Die Experten, die ihre Ideen beim Düsseldorfer Werkstattgespräch der CDU-Fraktion präsentierten, gaben jenseits aller wissenschaftlichen Analysen auch praktische Sofort-Lebenshilfe, um den Corona-Alltag zu „überleben“.