Bernd König: Jedes Opfer erwartet natürlich, dass der Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Manche Opfer sind zufrieden, wenn ein Täter überhaupt vor Gericht kommt. Andere wollen mehr, als das gesetzliche Strafmaß überhaupt vorsieht. Eine Pauschalantwort gibt es nicht.
Interview Wie Opfer mit medialer Aufmerksamkeit und Justizurteilen umgehen
Düsseldorf · Aufsehenerregende Verbrechen und Urteile haben in den vergangenen Wochen die Bundesrepublik beschäftigt. Wie gehen Opfer mit der medialen Aufmerksamkeit und den Justizurteilen um? Dazu haben wir mit Bernd König von der Opferhilfsorganisation Weißer Ring gesprochen.
Herr König, im Prozess um Kindesmissbrauch in Lügde ist ein Angeklagter zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Viele Bürger empfinden dieses Urteil als zu milde. Wie kommt so ein Urteil bei den Opfern an?
Wird das Leid des Opfers bei der Urteilsfindung genügend berücksichtigt?
König: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Der Gesetzgeber hat auf Initiative des Weißen Rings seit Mitte der 80er Jahre den Opfergedanken ins Blickfeld genommen. Bis dahin war immer der Täter im Fokus. Seitdem haben der Weiße Ring und der Gesetzgeber Vorschriften zugunsten der Opfer geschaffen. Die Frage ist natürlich, ob diese auch strikt beachtet werden. Es gibt beispielsweise Videovernehmungen, wir können teilweise Personalien nicht angeben oder man kann die Öffentlichkeit ausschließen. Es gibt viele Möglichkeiten, das Opfer zu schützen. Nur ob das regelmäßig von den Gerichten gemacht wird, wenn keine Unterstützung für das Opfer dabei ist, das weiß ich nicht. Manche Gerichte haben auch gar nicht die Ausstattung dafür.
Im deutschen Rechtssystem steht der Resozialisierungsgedanke im Fokus. Wie wird das von Opfern wahrgenommen?
König: Dass der Täter bestraft werden muss, ist selbstverständlich. Aber die Strafe richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben. Wenn beispielsweise ein Täter bei einer Vergewaltigung voll geständig ist, kommt das natürlich dem Täter zugute. Aber auch für das Opfer ist das gut, denn wenn es noch einmal aussagen müsste, besteht die Gefahr der Retraumatisierung.
Können als zu lasch empfundene Urteile Opfer davon abhalten, eine Straftat zur Anzeige zu bringen?
König: Nein, das glaube ich nicht. Es mag im innerfamiliären Bereich durchaus häufiger vorkommen, dass von einer Anzeige abgesehen wird, aber grundsätzlich würde ich schon sagen, dass die meisten Opfer ihre Straftaten anzeigen.
Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt. Was macht das mit Menschen, wenn sie Opfer von Einzelfällen werden, die gesellschaftlich als unbedeutend bezeichnet werden?
König: Jedes Opfer muss das für sich verarbeiten. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, wenn man von einer Tat betroffen ist, die im Leben der Öffentlichkeit keine Rolle spielt. Andererseits wollen viele Opfer auch gar nicht, dass ihr Fall in die Öffentlichkeit kommt. Es reicht aus, dass das vor Gericht kommt. Es gibt aber natürlich auch Leute, die die Medien suchen.
Ist es nachteilig für ein Opfer, wenn der Fall in den Medien erscheint?
König: Wenn das in der Öffentlichkeit diskutiert wird, besteht die Gefahr der Voreingenommenheit. Auch Richter, Staatsanwälte und Schöffen lesen Zeitungen. Nur ist unser Rechtssystem so ausgestaltet, dass wir alles professionelle Richter haben. Deswegen ist die Gefahr, dass sie stark beeinflusst werden, nicht so groß. Ich möchte es aber nicht ausschließen.
Richter gehen sehr sachlich an die Fälle heran. Müsste das Emotionale mehr mitbedacht werden oder ist die Sachlichkeit genau richtig?
König: Jeder Richter ist anders. Wir können davon ausgehen, dass unsere Richter und Staatsanwälte sachlich an die Materie herangehen und sich nicht so sehr beeinflussen lassen. Aber jeder hat Emotionen, das ist normal und menschlich. Wie sehr das beeinflusst, vermag ich nicht zu sagen, weil es sehr individuell ist.
Der mutmaßliche Mörder in Voerde, der eine Frau vor den Zug gestoßen hat, soll laut Anwohnern zuvor das ganze Dorf terrorisiert haben. Wie wirkt das auf Opfer, wenn ein Täter bereits massiv auffällig war?
König: Das trifft einen natürlich besonders, wenn man weiß, dass der Täter schon häufiger in Erscheinung getreten sein soll. Wenn das der Fall war, ist das für ein Opfer besonders schwer, weil man denkt, dass die Polizei oder die Justiz hätte einschreiten können. Nur können sie nur einschreiten, wenn auch Straftaten vorliegen.
In Mülheim sollen 12- und 13-Jährige eine junge Frau vergewaltigt haben. Sie sind nicht strafmündig. Wie stehen Sie zur Herabsetzung der Strafmündigkeit?
König: Das ist schwer zu sagen, aus meiner Warte Nein. Wenngleich ich verstehen kann, dass es aus Sicht der Opfer schrecklich ist, dass den Tätern strafrechtlich nichts passiert.
In sozialen Netzwerken wird für manche Taten alles bis zur Todesstrafe gefordert.
König: Menschlich ist das alles nachvollziehbar, aber man muss eben immer wieder sehen, dass wir von der Resozialisierung ausgehen. Wenn wir einen Täter zurückholen können, der nicht mehr straffällig wird, dann haben wir ein Opfer weniger.
Teilen Opfer diese Einstellung? Und wie bereiten Sie sie auf einen Prozess vor?
König: Man versucht den Opfern schon bewusst zu machen, wie eine Hauptverhandlung abläuft, was auf sie zukommen und wer welche Fragen stellen kann. Wenn die Leute aufgeklärt sind, gehen sie mit einer ganz anderen Erwartungshaltung in diese Sitzung rein.
Welche Forderungen haben Sie als Weißer Ring?
König: Es gibt viele Fragen der Opferentschädigung. Gerade Rentenleistungen sind uns sehr wichtig, dafür kämpfen wir. Und wir haben einige strafrechtliche Forderungen, dazu stehen wir mit der Bundesregierung im Austausch. Aber wir haben im Opferschutz sehr viel erreicht.
Wie zufrieden sind Opfer von Straftaten mit den Urteilen der Justiz?
König: Die meisten sind durchaus zufrieden, weil sie erst einmal erleichtert sind, dass der Prozess abgeschlossen ist. Es kehrt eine gewisse Ruhe ein, weil die psychische Belastung weg fällt.