Zeitgeschichte 12. April 1999: Der schwarze Tag der Wuppertaler Schwebebahn
Wuppertal · Am 12. April 1999 stürzte eine besetzte Schwebebahn in die Wupper – Erinnerung an eine Tragödie.
Die Schwebebahn ist das sicherste Verkehrsmittel der Welt. Ein Satz, der seit ihrer Jungfernfahrt im Jahr 1901 immer wieder gesagt und geschrieben wurde. Er hat noch heute Gültigkeit. Aber gerade weil die Wuppertaler ihrem Wahrzeichen immer eine gewisse Unzerstörbarkeit attestiert haben, traf der 12. April 1999 die Bürger der Stadt mitten ins Herz. In den frühen Morgenstunden ging ein Notruf bei der Polizei ein: „Die Schwebebahn ist abgestürzt.“ Den Satz sagte Reporter und Anwohner Alexander Marinos, der als einer der ersten Menschen am Unglücksort war. Die Leitstelle wollte ihm zunächst nicht glauben. Doch der Super-GAU für die Schwebebahn war bittere Realität. Heute vor 25 Jahren verloren fünf Fahrgäste ihr Leben, 47 wurden teils schwer verletzt.
Um 5.45 Uhr wird Marinos, der seine Geschichte mehrfach in der WZ erzählt hat, durch einen ohrenbetäubenden Lärm aus dem Schlaf gerissen. Zunächst denkt er, ein Flugzeug könnte abgestürzt sein, dann sieht er die Schwebebahn in der Wupper liegen. Zu der Dimension des Unglücks schrieb er später: „Wer selbst kein Wuppertaler ist, der stelle sich einen Kölner vor, nachdem gerade der Dom zusammengekracht ist – oder einen Pariser, der plötzlich vor den Trümmern des Eiffelturms steht. Und es ist sogar noch schlimmer: Es handelt sich hier ja nicht nur um ein Wahrzeichen. Der erste Zug der Schwebebahn ist meist schon voll besetzt. Was ist mit den Menschen passiert?“
Ein weiterer Mensch im Epizentrum der Tragödie war Karl-Heinz Schreiber – der Fahrer der Unglücksbahn. Mitte 50 war er, als Schreiber mit dem Unglückszug in die Wupper stürzte. 2001 ging er in Frühpension, hatte bis dahin aber wieder hinter dem Steuer der Schwebebahn Platz genommen. Nur an der Unglücksstelle, zwischen Moritzbrücke und Haltestelle Robert-Daum-Platz, sei er immer sehr langsam gefahren. Der WZ berichtete er zehn Jahre nach dem Unfall: „Früher Morgen. Die erste Fahrt. Es hat geregnet, es war dunkel. Ein Knall, dann war ich im Wasser. Ich habe geblutet wie ein Schwein. Aber direkt hinter meiner Kabine haben Menschen gelegen. Wenn ich denen nicht sofort geholfen hätte, wären die jämmerlich ertrunken.“
Wie konnte das Undenkbare passieren? Die Unfallursache war schnell gefunden: Offen sichtbar prangte eine Montagekralle aus Stahl an der Schiene. Augenscheinlich hatten Arbeiter in der Nacht zuvor vergessen, das hundert Kilo schwere Stahlteil abzumontieren. Im Interview verriet Anwohner Marinos 2019 der WZ, dass er die Kralle sogar noch am Vorabend gesehen hatte: „Den richtigen Schluss, dass die Kralle dort von den Arbeitern übersehen wurde, habe ich nicht gezogen. Leider, ich hätte ihn gerne gezogen, dann wäre das Unglück vermeidbar gewesen.“
1994 begannen die umfassenden
Arbeiten an der Schwebebahn
Die Arbeiten gehörten zu einer groß angelegten Sanierung. 1994 überraschten der damalige Oberbürgermeister Hans Kremendahl und der Vorstandsvorsitzende der Wuppertaler Stadtwerke, Hermann Zemlin, die anwesenden Journalisten bei einer Pressekonferenz im Rathaus mit einer Hammer-Nachricht: Bei dem Wahrzeichen der Stadt sollte praktisch kein Stahlteil bestehen bleiben, zudem eine Erneuerung von fast allen Bahnhöfen – eine grundlegende Sanierung im laufenden Betrieb. 490 Millionen Mark sollte das Mammutprojekt eigentlich kosten. Am Ende hatte sich diese Summe mehr als verdoppelt: 620 Millionen Euro flossen in die grunderneuerte Schwebebahn.
1999 waren die Arbeiten noch in vollem Gange. Die Fahrgäste hatten sich daran gewöhnt, dass die Bahn am Wochenende und in den Schulferien wegen der Arbeiten ruhte und werktags wieder den Betrieb aufnahm. Das erzeugte Zeitdruck bei den Arbeitern. In der Eile blieb schließlich an einem Sonntag eine Montagekralle zurück, die dem ersten regulär besetzen Triebwagen am Montagmorgen darauf zum Verhängnis wurde. Der Wagen fuhr mit etwa Tempo 50 ungebremst auf das Hindernis auf und sprang aus der Schiene. Er stürzte zwölf Meter in die Tiefe, auf eine Fernwärmeleitung. Das Motiv, das auch von WZ-Fotograf Kurt Keil festgehalten wurde, brannte sich deutschlandweit ins Gedächtnis und ging am nächsten Tag durch die Tageszeitungen der Welt. Am Abend berichtete die Tagesschau mit Bildern von der Rettungsaktion mit 150 Einsatzkräften.
Der Unfall hatte ein juristisches Nachspiel: Der Strafprozess gegen vier am Umbau beteiligte Arbeiter, Kontrolleure der Stahlbaufirma und der Stadtwerke sowie den damaligen Betriebsleiter der Schwebebahn endete im Januar 2002 nach 17 Verhandlungstagen. Staatsanwalt Ralf Meyer hatte Gefängnisstrafen zwischen neun Monaten und drei Jahren sowie Geldbußen in Höhe von bis zu 10 000 Mark gefordert. Er hatte in seinem Plädoyer eine „eklatante Verletzung der Sorgfaltspflicht“ gesehen. Das Urteil war schließlich deutlich milder: fünf Freisprüche und drei Verurteilungen zu Geld- und Bewährungsstrafen.
Eine Haftstrafe auf Bewährung war das Ergebnis eines Berufungsverfahrens gegen den verantwortlichen Bauleiter. Der WSW-Betriebsleiter erhielt einen Freispruch. Die Stadtwerke unterstützten die Verletzten und die Opfer der Angehörigen allerdings mit insgesamt 1,3 Millionen D-Mark. Die Gesamtkosten des Unglücks für die Stadttochter beliefen sich auf mehr als acht Millionen Mark. Am 12. April 2000 enthüllte Wuppertals Oberbürgermeister Hans Kremendahl nahe der Unfallstelle eine Gedenktafel. Darauf steht geschrieben: „Unweit dieser Stelle ereignete sich das folgenschwerste Unglück in der Geschichte der Schwebebahn.“
Zum 20. Jahrestag des Unglücks veröffentlichte die WZ eine Multimediaseite mit Videos, Fotos und Texten zum Absturz. Sie ist zu sehen unter