„Now And Then“ Alte Industrieanlagen werden in Wuppertal kunstvoll in Szene gesetzt

Wuppertal · Sebastian Schmidt zeigt seine Aufnahmen in der Galerie im Turm.

Sebastian Schmidt hält fest, wie der Verfall Industrieanlagen verändert.

Foto: Andreas Fischer

Seit 15 Jahren ist Sebastian Schmidt unterwegs, um verlassene Industrieanlagen zu besuchen und auf Fotos in Szene zu setzen – für ihn eine Zeit „voll Begeisterung, Erfahrung, Weiterbildung“, die so schnell nicht enden soll. Die unter dem Künstlernamen „Stahlfoto“ veröffentlichten Aufnahmen halten die gigantischen Zeugnisse der Industriekultur fest. Seine Favoriten aus eineinhalb Jahrzehnten präsentiert Schmidt jetzt in der Turm-Galerie der Elberfelder Christuskirche.

Gerade die Vergänglichkeit seiner Motive reizt den Hobby-Fotografen, der in der IT-Branche arbeitet. „Ich hetze dem Abriss hinterher“, sagte Schmidt bei der Vernissage der Ausstellung „Now And Then“. „Vieles, was man hier sieht, ist schon nicht mehr da.“ Seinen Einstand als Industriefotograf gab er mit einer Innenaufnahme der Henrichshütte in Hattingen. Nach und nach erweiterte der gebürtige Wuppertaler seinen Radius. Touren durch das Ruhrgebiet führten ihn zu Zechen und Bergwerken. Weiter ging die Reise zu den Relikten der Kohle- und Stahlbranche in Belgien und Frankreich.

Was Verfall und Witterung aus den „lost places“ machen, veranschaulicht der Vergleich von Vorher und Nachher. Auf einem Bild ist die Halle eines Hochofens noch weitgehend intakt. Auf dem Gegenstück, das rund zehn Jahre später entstand, ist das Gebäude kaum wiederzuerkennen: Metallteile sind abmontiert, das Dach ist abgetragen worden, Wind und Schnee können ungehindert eindringen.

Industriedenkmäler bleiben wohl nur dann bestehen, wenn sie umgestaltet werden und eine neue Funktion erhalten. Von diesem Übergang zeugen auch Schmidts Motive. Eine lichtdurchflutete Aufnahme zeigt das Innere des Gaskessels Heckinghausen, kurz bevor dieser gekauft und zum Visiodrom umgebaut wurde. Eine weitere gewährt Einblick in das Kesselhaus der Essener Zeche Zollverein, wo heute ein Museum untergebracht ist.

Mit seiner Digitalkamera will Schmidt nicht bloß Vergangenes dokumentieren. Seine Bildkompositionen arbeiten die symmetrischen Strukturen der Zweckarchitektur heraus. So entpuppen sich abstrakte Muster als winziger Ausschnitt einer Turbine im Hüttenwerk. Dann wieder hat der Betrachter sich nach oben verjüngende Kreise vor Augen. Die sind formschön und bilden zugleich das Innere eines Kühlturms. Die Krönung ist ein strahlend blauer Himmel in der Bildmitte.

Bei anderen Bildern hat der Fotograf Farbwerte reduziert, um den Blick auf bestimmte Details zu lenken – unter anderem Maschinengehäuse in kräftigem Rot. Nebenbei widerlegt er so das Vorurteil, die Industrialisierung habe ein einziges Grau in Grau hervorgebracht. Zum künstlerischen Ansatz passen die hell glänzenden Metallpassepartouts, die einige Aufnahmen einrahmen.

Der Gaskessel Heckinghausen – kurz vorm Umbau zum Visiodrom

Der Nachbearbeitung geht das Abenteuer der Begehung voraus. Die alten Anlagen erkundet der Fotograf niemals allein: „Mich begleiten sehr gute Freunde, auf die ich mich verlassen kann.“ Schutzkleidung ist Standard, manchmal braucht es auch Sicherungsseile. Umso mehr wundert sich Schmidt über Besucher von „lost places“, die allein auf den Thrill des Unbekannten setzen oder für ein Selfie vor historischen Kulissen posieren wollen. Für ihn gehört immer auch eine Recherche zum jeweiligen Ort dazu: „Nur wer sich für die Funktion und die Geschichte dahinter interessiert, kann es auch wirklich fotografieren.“

Die Galerie im Turm, Unterer Grifflenberg 65, zeigt Sebastian Schmidts Industrie-Fotografie bis 18. September. Geöffnet: mittwochs von 19 bis 21 Uhr; es gibt zwei Sondertermine (8. und 14. September ab 12 Uhr), an denen der Fotograf durch die Ausstellung führt und erzählt.