Kloster Beyenburgs letzter Mönch: „Sünder sind willkommen“

Bruder Dirk bietet Pilgern ebenso Zuflucht wie Ex-Häftlingen.

Bruder Dirk kam 1994 nach Beyenburg.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Sechs Kruzifixe und ein Flachbildfernseher gehören zur Ausstattung in Bruder Dirks Zimmer im Kloster Beyenburg. Der Mönch muss für die Führung durch seinen privaten Bereich nur den Arm durch den Raum schweifen lassen. Er zeigt auf seinen Schreibtisch – „Das ist mein Arbeitszimmer“ – auf den runden Tisch mit den vier Polsterstühlen in der Mitte des Raumes – „Das ist mein Wohnzimmer“ – und auf das blau angestrichene Holzbett – „Das ist mein Schlafzimmer“. Jedes der altertümlich anmutenden Möbelstücke steckt voller Erinnerungen. Sie sind Überlassenschaften und Erbstücke von seinen Ordensbrüdern.

Als Bruder Dirk 1994 nach Beyenburg kam, lebten noch drei Kreuzherren im Kloster. „Heute sind wir nur noch drei Ordensbrüder in ganz Deutschland“, sagt der Geistliche. 2014 starb Bruder Gerard Vos, der ein halbes Jahrhundert das Gesicht des Klosters war. Seitdem hält nur noch ein Kreuzbruder die Stellung.

Außerhalb der altehrwürdigen Mauern des Beyenburger Klosters verschwinden Spiritualität und Religiosität in rascher Geschwindigkeit aus der westlichen Welt. Es häufen sich die Nachrichten von Klostern, die teils nach 900 Jahren und mehr ihre Tore für immer schließen. Bruder Dirk, der in seiner Freizeit den Kloster-Hang gelegentlich nach mittelalterlichen Münzen absucht, stellt fest: „Da stirbt eine ganze Kulturlandschaft weg.“

Niemand kommt mehr mit 16 Jahren auf die Idee, ins Kloster zu gehen. So wie Dirk Wasserfuhr, der 1976 auf Anraten von Bruder Vos über die Herbstferien ins Klosterleben schnupperte. Er erinnert sich, dass ihn damals die Menschen, der Tagesablauf und die Arbeit im Garten fasziniert haben. Doch richtig in Worte fassen lasse sich seine entflammte Leidenschaft für ein Leben im Dienste der Kreuzherren nicht. Der 59-Jährige kann es nur so ausdrücken: „Das ist ein inneres Gefühl. So wie verliebt sein.“

Nach mehreren Stationen in anderen Klostern und einer Ausbildung zum Krankenpfleger legte Dirk Wasserfuhr das ewige Gelübde ab. „Das war praktisch die Hochzeit mit dem Orden“, sagt er. Es war der Moment, in dem Dirk Wasserfuhr seinen weltlichen Besitz abgab, seine privaten Konten auflöste und sich voll und ganz den Kreuzherren verschrieb. „Ich darf keinen persönlichen Besitz haben“, sagt Wasserfuhr, der sein Geld vom Orden zugeteilt bekommt. In der Praxis bedeute das aber nicht, dass er keinen Kaffee trinken gehen könnte, stellt der Mönch klar und zündet sich eine Zigarette an. „Das ist hier keine Selbstquälerei.“

Verzicht bedeutet für Wasserfuhr etwas anderes. „Man stellt seine Bedürfnisse zum Wohl der anderen zurück. Ich verschenke Zeit“, sagt der Mönch, der seit Jahren weder Urlaub noch Wochenende kennt. An seiner Tür hängt ein Schild mit der Aufschrift „Sünder sind willkommen.“ Dirk Wasserfuhr bietet Pilgern mit wunden Füßen ebenso einen Unterschlupf wie Flüchtlingen oder Drogenjunkies. „Sünder“ seien ihm sogar lieber als „Selbstgerechte“. „Die Sünder sind wenigstens ehrlich“, sagt er. Obwohl er den Begriff eigentlich gar nicht mag. „Sünde... was ist schon Sünde?“, fragt er rhetorisch.

Seelsorger, Trauerredner, Krankenpfleger und Prediger

Bruder Dirk ist Seelsorger, Trauerredner, Krankenpfleger, Prediger, Touristenführer und Herbergsvater in einer Person. Alleine in diesem Jahr habe es in den Pilger- und Gästezimmern rund 200 Übernachtungen gegeben. Manche Menschen, die sich in Lebenskrisen befinden, bleiben mehrere Monate im Kloster. Die idealtypische Vorstellung von der Einsamkeit in den heiligen Hallen - Bruder Dirk kennt sie nicht. „Hier ist immer etwas los. Ich komme manchmal nach Hause und dann schaut hier jemand in meinem Zimmer Fernsehen“, sagt der großzügige Gastgeber, der den Umgang mit den vielen unterschiedlichen Menschen besonders an seinem Alltag schätzt.

Unter diesem Gesichtspunkt sei das Verschwinden der Ordensbruder vor allem auch eine traurige Entwicklung für die Menschen, denen sonst kaum jemand ein Ohr leiht. Deshalb schmerzt es Bruder Dirk auch, dass er keinen Nachfolger findet und die Seelsorge nach mehr als 700 Jahren irgendwann mit ihm aus dem Kloster Beyenburg verschwinden könnte.

Einmal glaubte er, einen möglichen Nachfolger gefunden zu haben. Ein junger dänischer Börsenmakler hatte völlig ausgebrannt den Pilgerweg nach Beyenburg angetreten. Bruder Dirk berichtet: „Plan A war, dass er Hilfe findet. Plan B war, dass er sich auf dem Weg umbringt.“ Ein enges Bündnis sei entstanden. Am Ende sei der Däne in die Heimat zurückgekehrt, um dort Pastor zu werden. „Da habe ich Rotz und Wasser geheult“, sagt Bruder Dirk, der private Freundschaften außerhalb des Klosterlebens vermeidet.

Ein neuer Ordensbruder, das muss Dirk Wasserfuhr einräumen, würde die Kreuzherren vor organisatorische Probleme stellen. „Wir können gar keine Ausbildung mehr anbieten“, sagt Wasserfuhr. Er gibt die Hoffnung trotzdem nicht auf. Falls er einen geeigneten Kandidaten findet, will er das Klosterleben in Beyenburg weiterführen. Dann eben anders als es bisher Tradition war. Bruder Dirk lächelt: „Vielleicht machen wir dann einfach unseren eigenen Klub auf.“