Was glauben Sie denn? Mit dem Stolz von Eseln
Werner Kleine von der katholischen Citykirche über die den Neustart des Wuppertaler Wahrzeichens.
Sceccu al‘aria – fliegender Esel. Diesen liebevollen Namen haben die Sizilianer der Schwebebahn gegeben. Die Italiener nennen sie ebenfalls „asino volante“. Manch einer hält die Schwebebahn ja für die Seele Wuppertals. Viele haben nach fast neunmonatiger Pause den 1. August 2019 herbeigesehnt – jenen Tag, an dem die Schwebebahn ihren Dienst wieder aufnahm. Viele haben es sich nicht nehmen lassen und sind schon am frühen Morgen um kurz nach 5 Uhr mit dem ersten Zug durchs Tal geschwebt. Der Esel fliegt wieder. Und Wuppertal ist stolz darauf. Was glauben Sie denn?
Während die Deutschen allgemein zu funktionalen Beschreibungen wie „Schwebebahn“ neigen, beschreiben Italiener und Sizilianer eher das Wesen der Schwebebahn. Ein Grund ist sicher, dass die vielen Konsonanten in dem Wort „Schwebebahn“ der melodischen Sprechweise der Südeuropäer zuwiderläuft. Asino volante – das hat Klang, das hat Charme, das ist ein fast schon lobpreisender Gesang auf ein Wunderwerk der Technik, das bis zu dem großen, 1995 begonnenen und bis 2014 dauernden Schwebebahnausbau zuverlässig seinen Dienst tat. Die Altvorderen wussten wohl, was sie taten. Und genau deshalb nennen sie die Italiener und Sizilianer eben auch „fliegender Esel“, weil sie zuverlässig die Lasten durch das Tal der Wupper transportierte ohne viel Aufhebens zu verursachen. Während weiland Jesus auf einem Esel in Jerusalem hineinritt, flogen die Wuppertalerinnen und Wuppertal sogar in einem durch die Stadt.
Das hat sich seit dem Umbau geändert. Die neuen, blauen Wagen fahren jetzt leiser durch das Tal. Wo es ratterte, surrt es jetzt eher. Die großen Verheißungen schnellerer Taktungen aber scheitern nun an eben jener Ingenieurskunst, die das Wunder eines fliegenden Esels einst möglich machte. Nun schlugen Wagen in Kurven an das Gerüst und Stromschienen fielen herab. Ist die Schwebebahn nun zum sturen Esel geworden?
Der Sturheit der Esel ist ein menschliches Missverständnis. An und für sich weiß der Esel halt nur, was er will. Bisweilen sieht er sogar klarer, als seine menschlichen Besitzer es wahrhaben wollen. Das Alte Testament weiß so von einer Eselin zu berichten, die dem Seher Bileam gehörte. Das Buch Numeri, das die evangelischen Geschwister das vierte Buch Moses und die Juden Bemidbar nennen, berichtet im 22. Kapitel von einer besonderen Begebenheit. Der Seher Bileam soll dem feindlichen König Balak begegnen. Auf dem Weg dorthin muss er aber noch eine Lektion lernen, bei dem seine Eselin eine wichtige Rolle spielt. Sie nämlich sieht anders als ihr Herr den Engel Gottes, der Bileam drohend im Weg steht, um ihn vor einer Dummheit zu bewahren – und sie weigert sich, weiterzugehen. Alles Zerren, Treiben, Schlagen Bileams nutzt nichts. Sie erkennt die Gefahr. Ihre scheinbare Sturheit schützt das Leben ihres Herrn. Der schließlich muss die Weisheit der Eselin erkennen und selbst lernen, wachen Sinnes und aufmerksamen Geistes den anstehenden Herausforderungen zu begegnen.
Von Eseln kann man also lernen. Was auf den ersten Blick stur scheint, erweist sich letztlich als eine besondere Form von Weisheit. In Psalm 32,9 heißt es dagegen: „Werdet nicht wie Ross und Maultier, die ohne Verstand sind. Mit Zaum und Zügel muss man ihr Ungestüm bändigen, sonst bleiben sie nicht in deiner Nähe.“ Die vermeintlich edlen Tiere erweisen sich als unverständig. Eselinnen und Esel sind da offenkundig anders – willensstark, aber zuverlässig, nicht unbedingt schnell, aber charaktervoll; eben wie unsere Schwebebahn es viele Jahrzehnte war. Wenn sie wie früher wieder die Seele Wuppertals ist, wie im Überschwang der Freude über den Neustart zu hören war, dann besteht Hoffnung für eine Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger, die nicht nach dem schönen Schein schielen, sondern mit Charakter bodenständig bleiben; die tun, was getan werden muss und, wenn es notwendig ist, eben auch widerständig sind – stolze Eselsmenschen halt, die nicht verstandlos sind. Was helfen schon schöne Panoramafenster in himmelblauen Wägelchen, die schnurren wie Kätzchen, wenn die Last zu groß wird. Gelobt sei der Esel, der wieder fliegt! Sceccu al’aria – was für ein Klang!