Fehlentscheidungen gehören zum Fußball
WZ-Kolumnist Uwe Becker ist kein Freund des Videobeweises — außer vielleicht im Alltag.
Der in der Fußball-Bundesliga eingesetzte Video-Assistent ist bei vielen Fans umstritten. Ich lehne den Videobeweis im Fußball grundsätzlich ab. Die Fußballer sollten mit Fehlentscheidungen leben, auch mit solchen, die richtig wehtun. Das Schmerzensgeld, das sie hierfür monatlich bekommen, ist nicht gerade niedrig und daher mehr als ein Trostpflaster. Ich erinnere mich, dass wir in meiner Jugend oft ohne Schiedsrichter gespielt haben — Linienrichter kannten wir nur aus dem Fernsehen. Es kam auch nicht selten vor, dass der Schiri nicht erschien, und man dem Vater eines Spielers der gegnerischen Mannschaft die Pfeife in die Hand drückte, der dann, nicht selten auch alkoholisiert, meilenweit hinter uns her hechelte und das Spiel dann zehn Minuten früher abpfiff, nachdem sein Sohn das 1 zu 0 erzielt hatte. In dieser Situation würde ein Videobeweis natürlich auch nicht viel bringen, aber eine Uhr hätte für ein stückweit mehr Gerechtigkeit gesorgt.
Wir mussten das damals alles ertragen, ohne auch nur einen Pfennig dafür zu bekommen. In anderen Lebenssituationen kann man ja auch nicht auf einen Video-Assistenten zurückgreifen, der auf mögliche Ungerechtigkeiten oder Missverständnisse hinweisen könnte.
Ich kann das hier gerne einmal an einem fiktiven Beispiel erläutern: Stellen Sie sich bitte vor, ich sitze im Café Grimm bei einem Stück Käsesahnetorte, lese in der WZ einen Artikel über die Sexismus-Vorwürfe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, als plötzlich am Nachbartisch eine Dame aufsteht, mit dem Finger auf mich zeigt und behauptet, ich hätte mich vor mehr als 50 Jahren auf dem Schulhof absichtlich auf den Rücken gelegt, damit ich ihr unter den Rock schauen konnte. Das ist natürlich sehr peinlich, zumal mir die anderen Damen an ihrem Tisch böse Blicke zuwerfen. Wenn man genau weiß, dass die Situation damals ganz anders abgelaufen ist, dann wäre es natürlich prima, wenn man die Kellnerin an den Tisch bitten könnte und diese dann, wie ein Schiedsrichter beim Fußball, ihre rechte Hand an ihr Headset legt, und dann mit beiden Händen symbolisch den Umriss eines TV-Bildschirms in die Luft zeichnet, damit man sich den Vorfall aus dem Jahre 1964 noch einmal ansehen könnte. Meine Unschuld wäre klar bewiesen, da alle Beteiligten nach Sichtung des Videomaterials wüssten, dass mich damals mein Schulkamerad Udo L. geschubst hatte und ich daher auf den Rücken, genau vor die Füße des Mädchens, fiel. Aber ist es damals wirklich so passiert? Vielleicht habe ich ja auch Udo L. gebeten, mich zu schubsen, damit ich in diese Situation komme.
Aber kommen wir nochmal zum Video-Beweis im Fußball: Ich könnte mich mit dieser neuen Regelung in der Bundesliga nur dann anfreunden, wenn der Solinger Philosoph Richard David Precht in der Zentrale der Deutschen Fußball Liga säße, um alle Bundesligaspiele alleine und parallel zu beobachten. Nur mit Precht als Video-Assistent wäre für mich eine absolute Gerechtigkeit im Fußball sichergestellt. Er hat den unbestechlichen Blick für das große Ganze, wie viele, die hier im schönen Bergischen Land geboren sind.