Goldberg: Rechtsextremismus wurde jahrelang verharmlost
Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Wuppertal hat nur wenig Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden.
Herr Goldberg, beunruhigen Sie die Neonazi-Umtriebe in Vohwinkel?
Leonid Goldberg: Natürlich, sehr, aber nicht nur in Vohwinkel, sondern in ganz Deutschland. Das Schlimmste dabei ist, das muss man ganz ehrlich sagen, dass alle jüdischen Gemeinden seit Jahrzehnten vor der Gefahr warnen. Aber weder die Politik noch die Polizei haben das wahrgenommen. Alle taten so, als handele es sich um Kleinigkeiten, bis nun die Mordserie in Zwickau bekannt wurde. Jetzt sind alle wach. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass mein Vorgänger bereits vor 25 Jahren davon gesprochen hat, dass die Justiz auf dem rechten Auge blind ist.
Glauben Sie, das Problem wird auch in Wuppertal verharmlost?
Goldberg: Da ist Wuppertal keine Ausnahme, das Problem wurde grundsätzlich in Deutschland viele, viele Jahre verharmlost. Denken Sie an die Attacke der Rechten im Cinemaxx. Die Staatsanwaltschaft stellt einfach alle Ermittlungen ein. Was war denn das?
Das Medienprojekt übt sehr harsche Kritik an der Polizei. Teilen Sie diese Kritik?
Goldberg: Ich habe gehört, dass es Beschwerden an die Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher gibt. Ich kann und möchte nicht die Polizei beschuldigen, es handelt sich eher um eine grundsätzliche Einstellung in Deutschland. Ich hoffe, dass das nun, nach Zwickau, vorbei ist.
Das hört sich nicht so an, als hätten Sie in die Ermittlungsbehörden Vertrauen?
Goldberg: Leider konnten wir bisher kein Vertrauen in die Ermittlungsbehörden haben. Gerade vor ein paar Tagen habe ich einen Anruf vom Staatsschutz aus Düsseldorf erhalten, weil die Ermittlungen wegen des Anschlags am Wehrhahn (die Opfer des Bombenanschlags 2000 waren Juden, Anm. d. Redaktion) nun doch wieder aufgenommen werden. Vorher hieß es doch nur, es habe sich um eine Mafia-Aktion gehandelt. Jetzt gibt es offensichtlich Zweifel an dieser Theorie.
Glauben Sie, die Ermittlungsbehörden haben im Hinblick auf den rechten Terror versagt?
Goldberg: Das hat mit Glauben nichts zu tun, das hat doch die Bundespolitik selbst klar und deutlich gesagt.
Am 9. November haben mehr als 2000 Wuppertaler in Vohwinkel gegen die Neonazis demonstriert. Das ist doch ein gutes Signal?
Goldberg: Natürlich, das ist hervorragend. Ich war selbst bei der Demo dabei. Es ist toll, dass so viele Menschen gegen die kleine Gruppe demonstrierten. Was jedoch nicht nur mich, sondern auch viele andere Teilnehmer gestört hat, war, dass an dem Haus, in dem die Neonazis wohnen, Transparente herunterhingen und dass die Neonazis ganz offen die Demonstranten gefilmt haben. Die Polizei stand dabei und hat nur das Haus bewacht.
Die Neonazis haben die Demonstranten gefilmt?
Goldberg: Ja, ganz eindeutig.
Muss die Wuppertaler Politik mehr unternehmen, um den braunen Spuk zu beenden?
Goldberg: Ich weiß nicht, ob die Politik irgendeinen Einfluss darauf hat. Bei der Demonstration waren die Politiker aller Parteien anwesend.
Muss also mehr präventive Jugendarbeit geleistet werden?
Goldberg: Ja, aber das große Problem ist doch, dass bei der Jugendarbeit schon seit Jahren so massiv gespart wird. Alle unsere Bemühungen, Prävention zu betreiben, werden langsam kaputtgespart. Einrichtungen müssen schließen, weil kein Geld mehr vorhanden ist.
Was wünschen Sie sich an Solidarität von den Wuppertalern?
Goldberg: Wir bekommen schon sehr viel Unterstützung, und das finden wir sehr gut. Es ist traurig, dass es Nazis in unserem Land gibt.
Woher kommt dieser latente Antisemitismus?
Goldberg: Es gibt Statistiken, nach denen jeder fünfte Einwohner in Deutschland ein Antisemit ist. Leider wächst auch der moslemische Antisemitismus sehr stark. Alle Lehrer, mit denen ich gesprochen habe, bestätigen mir, dass das Wort Jude auf Wuppertals Schulhöfen ein oft gebrauchtes Schimpfwort ist. Woran das liegt? Das Problem ist, unserer Jugend werden falsche geschichtliche Tatsachen in Bezug auf Israel beigebracht. Israelis werden immer als Täter dargestellt und die armen Palästinenser als Opfer. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn viele Deutsche sagen, die größte Gefahr für den Weltfrieden ist Israel. Die Menschen reden nicht vom Iran, von irgendwelchen Diktaturen sondern von Israel, einer Demokratie.
Werden deswegen junge Muslime zu Antisemiten?
Goldberg: Das weiß ich nicht. Peter Scholl-Latour hat einmal gesagt, für in Deutschland geborene und lebende Türken ist nicht Bundespräsident Christian Wulff das Staatsoberhaupt, sondern der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan. Und wenn Erdogan ein Problem mit Israel hat, hat das sofort Einfluss auf die türkische Gemeinde in Wuppertal. Aber: Vor kurzem war eine Gymnasialklasse aus Neuss zu Besuch in unserer Synagoge, in der auch einige türkischstämmige Schüler waren. Die waren hervorragend informiert, mit denen konnte ich toll diskutieren. Ich war erstaunt, das war wunderbar.