Argentinier wähnen den Dom in Wuppertal

Bandoneon-Spieler Gabriel Merlino freut sich auf die Stadthalle.

Wuppertal. Wer schwärmt, übertreibt schon mal. Gabriel Merlino macht da keine Ausnahme: "Wuppertal ist eine schöne Stadt. Steht da nicht auch ein Dom?" Wer den argentinischen Bandoneonisten höflich darauf hinweist, dass der erste Satz zwar stimmen mag, er aber trotzdem die Kirche im Dorf lassen müsse, erntet ein sympathisches Lächeln und schnelles Einsehen. "Stimmt. Der Dom steht ja in Köln. Aber Wuppertal hat viele tolle Kirchen. Das ist mir damals sofort aufgefallen."

"Damals" galt der 33-Jährige noch als Geheimtipp - als einer der besten Nachwuchs-Bandoneonisten überhaupt. Heute ist Merlino Orchesterleiter und auf der ganzen Welt zu Hause.

Entsprechend weitreichend ist die Erkenntnis, dass keine Stadt wie die andere ist. Die Erinnerung an das Bergische Land ist jedenfalls eine ganz besondere, auch wenn der Dom nur gefühlt in Wuppertal steht: "Ich bin vor einigen Jahren im Café Ada aufgetreten - bei einem Tango-Festival. Das war toll." Deshalb kommt der Musiker auch gerne zurück: Am 18. Januar 2011 stellt das Ensemble Tango Pasión seine neue Show "Ultimo Tango" in der Stadthalle vor.

Bis es so weit ist, verzaubert der Meister des Bandoneons erst einmal sein Publikum in England, Finnland und Frankreich. Vier Monate lang ist der Argentinier auf Europa-Tour. Ob Merlino währenddessen an die Heimat denkt? "Ja, natürlich." Schließlich wäre er kein großer Tango-Freund, wenn er nicht auch ein kleiner Melancholiker wäre.

Das ganz große Heimweh kann trotzdem nicht aufkommen. Denn da gilt zum einen das Prinzip: "Tango-Musik ist wie eine Familie für mich. Schon mein Großvater hat Bandoneon gespielt." Zum anderen weiß er eine schöne Dame an seiner Seite. Schwärmen ist deshalb erlaubt: "Meine Frau hat eine großartige Stimme", sagt der 33-Jährige, der seine Herzensdame im Rampenlicht kennengelernt hat - vor fünf Jahren hat es zwischen dem Bandoneon-Spieler und der Sängerin gefunkt.

Seitdem stehen sie erst recht gemeinsam im Scheinwerferlicht - auch in Wuppertal. Vanina Tagini (28) begleitet ihren Mann, wenn er im Januar mit zwölf Tänzern und seinem Opus Tango Orchestra auftrumpfen will - natürlich an dem Bandoneon, das ihm, dem damals achtjährigen Steppke, einst sein Großvater geschenkt hat. "Es ist 90 Jahre alt und klingt einzigartig!"

Der unverwechselbare Klang seines Bandoneons lässt Tango-Liebhaber in aller Welt aufhorchen. Staunen lassen auch seine Sprachkenntnisse. Wo er sie verfeinert hat? "Ich habe Deutsch auf der Straße gelernt - während meiner Tourneen durch Deutschland, der Schweiz und Österreich."

Merlino sagt’s so, als sei nichts leichter, als sich in fremden Ländern zurechtzufinden. Und Wuppertal? Der Musiker ist gespannt auf seine Rückkehr in die Stadt, die zwar keinen Dom, aber die Schwebebahn hat. Er hofft, diesmal Zeit für eine Rundfahrt zu haben. Es klingt nach Vorfreude und nicht wie eine leere Floskel: "Ich mag das deutsche Publikum", sagt er. Sind Argentinier nicht temperamentvoller? "Das Vorurteil, Deutsche seien kühler, stimmt nicht. Sie sind sehr leidenschaftlich." Der Weltenbummler muss es wissen - und wer so charmant schwärmt, darf womöglich auch etwas übertreiben.