Vorstellung Ausstellung in Wuppertal zeigt Nacktaufnahmen alter Menschen

"Mein Gott, bin ich schön", staunt eine 86-Jährige. Eine Ausstellung mit Nacktaufnahmen alter Menschen in Wuppertal ist auch eine außergewöhnliche Erfahrung für die Teilnehmer des Projekts.

Foto: Andreas Fischer

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

Mit dieser Aufnahme soll für die Ausstellungseröffnung am 12. Oktober geworben werden.

Foto: Andrea Rompa

Wuppertal. Irgendwann an diesem Wochenende Ende Juli waren sie alle einmal zutiefst gerührt: der Pfarrer, die Fotografin, die Leiterin des Seniorentreffs. Für Annette Horn, die zweimal in der Woche das offene Seniorenangebot der Evangelischen Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum leitet, war es der Moment, als eine Dame das improvisierte Fotostudio im Gemeindezentrum Röttgen verließ, die ihr von Kindesbeinen an vertraut war. Die 86-Jährige, gebrechlich und auf den Rollator angewiesen, hatte Tränen in den Augen: „Mein Gott, bin ich schön.“ Gerade hatte sie sich nackt fotografieren lassen.

Foto: Andrea Rompa

Und das nicht als Einzige. 15 Männer und Frauen waren schließlich bereit, sich auf die Idee des Projekts „Wunderbar gemacht“ einzulassen: zwei Ehepaare, dazu weitere zwei Männer und neun Frauen — die Jüngste Anfang 70, die Älteste 99. Die Beweglicheren suchten das Studio von Fotografin Andrea Rompa auf; für die anderen wurde ein Raum des Wuppertaler Gemeindezentrums umfunktioniert.

Die Ergebnisse werden keine Privatsache bleiben. Mitte September kommen alle Teilnehmer noch einmal zusammen. Bisher haben sie meist nur einen kurzen Blick auf das Display der Kamera erhascht. Dann wird Fotografin Rompa ihnen ihre Favoriten vorlegen. Das letzte Wort aber haben die Fotografierten selbst — bis hin zum Rückzug im letzten Moment. Denn am Ende wird jeweils ein Foto auf 40 mal 50 Zentimeter vergrößert, in Schwarz-Weiß und vollkommen unretuschiert. Kurz vor den Herbstferien ist die Ausstellungseröffnung geplant.

Für Pfarrer Holger Pyka gibt das Projekt den Menschen die Chance, „einen anderen Blick auf sich selbst zu werfen — abseits des Schönheitsideals von Makellosigkeit und Jugend“. Die Fotos dann auch öffentlich zu zeigen, hat in seinen Augen durchaus eine sozialkritische Dimension, „gerade auch gegenüber unseren Jugendlichen, die über jedes Instagram-Foto einen Filter legen und alle ihre Pickel wegretuschieren.“ Seine Wunschvorstellung in der Folge der Ausstellung: eine Diskussion im Stadtteil darüber, was der Wert des Körpers im Alter ist.

Die theologische Begründung der Aktion gelingt dem 36-Jährigen jedenfalls mühelos — ausgehend von dem Psalmvers „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin“: „Ich glaube, dass in der Welt aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ein großes Interesse besteht, den Menschen das auszureden. Da braucht es eine deutliche Gegenrede.“

Wochenlang befasste sich der Seniorentreff mit Schönheit als einem kulturell bedingten Konstrukt — bis hin zur traditionellen japanischen Reparaturmethode Kintsugi, die Risse und Bruchkanten von Keramik und Porzellan nicht kaschiert, sondern durch kunstvolle Goldverfugung zu unverwechselbaren Unikaten macht. Für Pfarrer Pyka ist diese Technik Sinnbild für das Projekt „Wunderbar gemacht“: „Biblisch betrachtet ist Schönheit nichts Absolutes, sondern ein Beziehungsgeschehen.“ Wer mit Liebe angeschaut wird, dessen körperliche Lebensspuren werden zum Ausdruck seiner individuellen Schönheit. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ — so erzählt es die Schöpfungserzählung am Anfang der Bibel. „Und auf dieser Basis kann man keinem Lebewesen seine Schönheit absprechen“, ist Pyka überzeugt.

Überzeugt war Barbara Kolboske im ersten Moment nicht, als dem Seniorentreff im Februar die Idee der Aktfotos erstmals vorgestellt wurde: „Veräppeln können wir uns selber.“ Aber dann war das Eis schnell gebrochen: durch Annette Horns Schilderung ihrer eigenen Erfahrungen mit gekonnter Aktfotografie; durch Andrea Rompas Satz: „Es gibt keine hässlichen Menschen, es gibt nur schlechte Fotografen“; durch das Anschauen der Filmkomödie „Kalender Girls“.

Für Rompa bleibt nach den Fotosessions vor allem der Eindruck großer Lebensfreude haften. Manche Senioren brachten konkrete Vorstellungen mit, wie sie fotografiert werden wollten: als Gärtner, mit Stofftieren oder Büchern. Schon häufen sich die Anfragen von anderen Gemeinden bis hin zu Zeitungsmagazinen. Aber die Entscheidung über den weiteren Umgang mit den Fotos treffen die Senioren selbst. „Es ist schön, wenn wir mit der Idee eine große Reichweite haben“, sagt Pfarrer Pyka. „Aber nicht auf Kosten des Vertrauens.“