Der Männerchor Flügelrad verstummt nach 106 Jahren

Der Männerchor Flügelrad gibt am Sonntag sein letztes Konzert.

Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Da klappt ein dickes Notenheft zu: Die Geschichte des Männerchores Flügelrad ist lang und ruhmreich, doch nach 106 Jahren geben die Sänger am Sonntag ihr letztes Konzert. Es ist wie bei vielen Chören: „Das Alter und der fehlende Nachwuchs zwingen uns dazu“, sagt der Vorsitzende Hartmut Rosenkranz, mit 77 Jahren genau im Durchschnittsalter der Sänger.

Ende der 50er Jahren seien sie mal fast 100 Sänger gewesen, „und jetzt eben 30“. Große Wehmut vor dem Finale will er aber nicht aufkommen lassen: „Wir haben es ja nicht mal geschafft, unsere eigenen Söhne und Schwiegersöhne in den Chor zu holen“, sagt er.

Der Chor blickt auf eine glorreiche Vergangenheit zurück. 1908 in Heckinghausen als reiner Eisenbahner-Gesangsverein gegründet, öffnete er sich bald auch für andere Mitglieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Chor großen Aufschwung: Er sang in der Stadthalle und im Opernhaus, gab Konzerte in Österreich, England, Frankreich, Polen und der Schweiz. Von 1955 bis 2011 trug er sogar den Titel Meisterchor, „das ist der höchste Titel, den ein Amateurchor erwerben kann“. Die Auszeichnung verleiht der Chorverband NRW für fünf Jahre, dann müssen die Sänger erneut zum Wettbewerb ran.

„Zehn Mal haben wir gewonnen“, sagt Rosenkranz: „Das hat in Wuppertal kein anderer Chor geschafft, auch in NRW liegen wir damit ganz vorne.“ Den Wettbewerb nahm der Chor immer sehr ernst: „Ein Jahr haben wir uns intensiv vorbereitet.“ Damit nichts den Wohlklang stört, habe der Dirigent einige Mitglieder auch immer gebeten, beim Wettsingen nicht mitzumachen: „Die durften dann nur als Schlachtenbummler mit.“

Bei vielen Chören wird auch die Geselligkeit intensiv gepflegt („Das ist ja oft eine lebenslange Bindung“, so Rosenkranz), aber die musste bei Flügelrad hinter der Arbeit für den Titel zurückstehen. „Manche Sänger, bei denen die Geselligkeit an erster Stelle stand, sind gar nicht erst zu uns gekommen — habe ich gehört“, sagt der Flügelrad-Vorsitzende.

Die Mitglieder werden nicht nur immer weniger, sondern naturgemäß auch immer älter. Alfons Mende (78), mit 56-jähriger Mitgliedschaft der dienstälteste Sänger: „Ich bin erster Tenor. Wenn ich 90 Minuten am Stück singen soll, ist das für eine nicht junge Stimme nicht ganz einfach.“ Die Mitglieder über 80 Jahre seien mit die besten Sänger, sagt Rosenkranz. Aber bei ihnen träten leichter mal Wehwehchen auf, und sie könnten dann bei Auftritten nicht dabei sein.

Hartmut Rosenkranz sieht das Schwinden der Chöre als eine Zeiterscheinung: „Da kann man niemandem einen Vorwurf machen. Die besten Chöre finden Sie heute nicht mehr in Großstädten wie Düsseldorf, Dortmund oder Essen, sondern die Meisterchöre kommen aus den kleinen Dörfern des Sieger- und Sauerlandes: Dort gibt es noch diesen Zusammenhalt.“