Dieter Schuller: Der Philosoph an der Bratsche
Für Dieter Schuller hat der Ruhestand begonnen. 27 Jahre lang spielte er im Sinfonieorchester.
Wuppertal. Wenn Hélène Grimaud gerne als "die Philosophin am Klavier" bezeichnet wird, dann war Dieter Schuller 27 lange Jahre der "Philosoph an der Bratsche". Und das ist nicht nur so dahin gesagt, denn der Pensionär des Sinfonieorchesters Wuppertal hat neben seinem Musikstudium in Rumänien auch ein komplettes Philosophiestudium absolviert.
Gesammelt, mit ernstem Blick bedächtig die Worte wählend, lässt der 65-Jährige tiefsinnig sein langes Musikerleben in Orchestern Revue passieren: "Diesem Leistungsdruck bin ich nun entronnen." Über das tägliche Üben, das ein Musiker absolvieren muss, um in Form zu bleiben, denkt er durchaus kritisch nach: "Üben ist wie Sport, den man ausübt, um fit zu bleiben. Man hat nichts gewonnen, im besten Fall nichts verloren."
Der Genuss sei begrenzt, denn man müsse immer die Kontrolle und Übersicht behalten, um dem Chaos des Subjektiven Herr zu werden. Schuller kann sich nun auch einmal entspannt zurücklehnen, um Musik zu genießen, denn: "Das Musikhören als seelisches, geistiges, künstlerisches Erlebnis bleibt natürlich erhalten."
Dennoch hat er seine Rolle als Solo-Bratscher auch genossen: "Die vergangenen fünf Jahre waren die besten. Toshiyuki Kamioka hat unendlich viel bewegt. Das Orchester hat sich professionalisiert. Es gibt alles." Er aber wäre kein Philosoph, würde er nicht auch diese Aussage relativieren: "Unsere hochkarätigen Dirigenten sind starke Persönlichkeiten. Sie treffen auf gestandene Musiker-Persönlichkeiten. Da wird die persönliche Entfaltung enorm eingeengt. Individuelle künstlerische Entwicklung ist im Orchester problematisch. Diese extreme Fremdbestimmung gibt es in kaum einem anderen Beruf."
Ob das in kammermusikalischen Formationen besser gelingen kann? "Ja und nein", gibt der Dialektiker, der einfachen Antworten nicht traut, zu bedenken. "Jeder darf und soll seine Meinung vertreten. So gibt es unendliche Debatten. Kommunikation mit Musikern ist schwierig, weil wir nach innen leben und nicht die Übung haben, Gefühle verbal zum Ausdruck zu bringen."
Wenn es denn klappe und die Chemie stimme, entstünden harmonische und bereichernde musikalische Erlebnisse. Schuller hat diese Übereinstimmung auch bei Dirigenten wie Carl St. Clair und Christian Thielemann gefunden. Denn mehr als zehn Jahre lang war er als Bratscher regelmäßig beim Bayreuther Festspielorchester engagiert: "Damit ist jetzt aber auch Schluss. Dieses Jahr war ich zum letzten Mal für zwei Monate dort. Deshalb gibt es nun viele Abschiede: Die Frist ist um, wie es im Fliegenden Holländer’ heißt."
Die Zeit, die er nun hat, will er vor allem mit Lesen verbringen: "Die Erkenntnisse, die man beim Lesen eines guten Buches gewinnt, sind unvergleichlich." Ehefrau Rodica ist an der Musikschule Velbert als Geigenlehrerin tätig. Neben dem Reisen, Wandern, Fahrrad fahren und Skilaufen gibt es auch an einer wundervollen italienischen Geige viel zu tun, die zum Hause Schuller an der Kruppstraße gehört: "Die werde ich mit Genuss und zum Vergnügen spielen." Und zum ersten Mal huscht ein leichtes Lächeln über das ernste Gesicht.