Wuppertal danach Kulturszene muss sich relevant machen

Johannes Schmidt über den Solidarfonds EinTopf und weitere Lehren aus der Coronakrise.

Johannes Schmidt vor seiner Wirkungsstätte Utopiastadt.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Manchmal erwächst gerade aus der Not der Erfolg. Ohne die Coronakrise gäbe es den Solidarfonds EinTopf nicht, stellt Johannes Schmidt nüchtern fest. Was nicht nur ein „tolles Interventionsinstrument“ weniger bedeuten würde, sondern auch „großartige Veränderungen dahinter“, die sich nicht ereignet hätten: Die Kulturschaffenden Wuppertals „kochen jetzt zusammen einen Eintopf“, haben über Sparten und Generationen hinweg zueinander gefunden. Grabenkämpfe – das war gestern. Heute wird miteinander und solidarisch gehandelt. Mittendrin der Veranstaltungs- und Projektmanager Schmidt, für den die Pandemie statt des im März 2020 erwarteten Urlaubs so viel Arbeit brachte wie nie zuvor.

Gerade wartet der EinTopf darauf, als Verein ins Amtsgerichtsregister eingetragen zu werden. Rund 30 Aktive kümmern sich um den „Topf“, der vom Netzwerk Freie Kultur verwaltet und vom Kulturbüro unterstützt wird. Von Anfang an setzte er auf Austausch und Unterstützung im kulturellen Überlebenskampf, erzählt Schmidt, der die ersten (digitalen) Treffen im Lockdown des März 2020 organisierte. Der 27-Jährige schließt gerade nach einem Studium der Politik, Philosophie und Ökonomie noch eines in Philosophie- und Kulturreflexion an, betreut ansonsten bei Utopiastadt das Kulturprogramm und die Flächenentwicklung.

Schon im April wurde klar, dass „die Hilfen von Land und Bund zu weitmaschig“ waren. Also hieß es, sich selbst zu helfen. Etwa 100 000 Euro wurden bis Ende 2020 gespendet – bis heute fließen Gelder aus Kunst-Aktionen, Musikverkäufen oder Einzelspenden, zunehmend auch von Firmen oder Serviceclubs. 60 000 Euro wurden bis Weihnachten als „Intervention in Form von Stipendien in der Not“ ausgegeben, die „Zeit verschaffen sollen, um strukturelle Probleme zu lösen“.

Strukturförderung oder Unterstützung über mehrere Jahre dagegen sind nicht vorgesehen, so Schmidt. Dennoch wurde der EinTopf gezielt als dauerhafte Schöpfung aufgebaut. „Wir gingen immer davon aus, dass nach der Coronakrise weitere Themen wie etwa (Alters-)Armut von Kulturschaffenden den Fonds erforderlich machen“, so Schmidt. Die Intervention vor Hartz IV sei doch auch für Wuppertal „ganz cool“, findet er, weil sie so ein weiteres Fangnetz anbieten könne. Seit Jahresbeginn 2021 mischen sich unter die Anträge von Kulturschaffenden nun zunehmend die von Kulturorten. Eine fünfköpfige, rotierende Jury, der stets ein Mitarbeiter des Kulturbüros angehört, entscheidet über die Geldvergabe. Rechenschaft über deren Verwendung müsse nicht abgelegt werden.

Mit dem tatkräftigen Engagement einher gehen Lernprozesse. Die sinnvollen und zugleich „nervigen“ Corona-Lockdowns seien „der einzige Weg, damit wir ansatzweise wieder normal leben können“, meint Schmidt. Auch wenn im Gastronomie- und Kulturbereich funktionierende Hygieneschutzmaßnahmen ergriffen worden seien, müssten auch diese Bereiche ihren Beitrag leisten. Zudem führen sie die Bedeutung sozialer Kontakte, von Familie und Freunden vor Augen, verwandeln „zufällige Kontakte an der Theke in ein wertvolles Kulturgut“. „Die Krise macht klar, was wirklich wichtig ist. Ich hoffe, dass die Menschen das später nicht vergessen.“

Außerdem habe er gelernt, wie gut der Staat funktioniere, wie viele Menschen in Verwaltung und Verbänden strukturiert und gut zusammenarbeiten können. Das sei schon beeindruckend, genauso wie die Erfahrung, dass viele, die bislang „nur eine Begriffsdefinition von Solidarität im Kopf hatten“ nun wirklich solidarisch handelten. Die Menschen hätten bewiesen, dass sie Krisen meistern können. Das mache ihm Mut – schon im Hinblick auf weitere Herausforderungen – etwa die Klimakatastrophe.

Geradezu beispielhaft trifft all das auch auf den Kulturbereich zu. Die freie Szene der Stadt, so Schmidt, sei zusammengerückt, Wertschätzung und gemeinsames Arbeiten hätten zugenommen. „Ich kann mir schon vorstellen, dass das bleibt.“

Die freie Szene der Stadt
ist zusammengerückt

Außerdem hofft er, dass die Gesellschaft Live-Auftritte künftig mehr schätze, dabei nicht nur die Akteure auf der Bühne, sondern auch die vielen Kräfte dahinter wahrnehme. Leider müsse auch festgestellt werden, dass der Kulturszene ein Jahr Einkommen fehle, woran die Verschiebungen in 2021 nichts änderten. Folge: Viele Kulturschaffende müssten einen anderen Job aufnehmen und gingen für die Szene verloren. Kulturorte müssten für immer geschlossen bleiben oder abwandern – je nachdem, wie groß die Finanzkraft der Person ausfalle, die hinter ihnen stehe.

Um dem entgegenzuwirken, müsse die Kulturbranche verstehen, dass sie eine Art Katharsis durchlaufe. Die ihr in der Coronakrise abgesprochene Systemrelevanz dürfe nicht nur eingefordert werden, sondern müsse zur selbstkritischen Analyse führen.

Es gelte, Antworten auf die Frage „Was haben wir falsch gemacht?“ zu finden, fordert Schmidt – und liefert. Es müssten Themen auf Bühnen, in Museen und Galerien behandelt werden, die die Menschen interessieren und ihnen darüber hinaus die bislang fehlende Interaktion anbieten. Die Kultur müsse sich „als Raum verstehen, in dem neue Regeln und Werte ausprobiert werden können“. Außerdem zeigen die in der Krise so viel wie nie zuvor genutzten Internetformate, dass das hybride Arbeiten vorangebracht werden müsse. „So wird die Kulturszene relevant.“

Weitere längerfristige Veränderungen seien schwer abzuschätzen, meint Schmidt. Aber dass er auch künftig nicht mehr gedankenlos Groß-Veranstaltungen aufsuchen werde, ist er sich sicher.