Kabarett/Richling ätzt in Lichtgeschwindigkeit: Wenn Merkel stutzt und Putin nichts versteht
Ein Schwabe in Wuppertal: Mathias Richling analysiert den politischen Kosmos im Schauspielhaus. Auch die Chemie zwischen dem Entertainer und seinem Publikum stimmte.
Wuppertal. Was hat Politik mit Physik zu tun? Ganz einfach: Wer sich - Abgeordnete dürfen sich durchaus angesprochen fühlen - mit Lichtgeschwindigkeit von der Erde und dem Volk entfernt, um sich dem Planeten der Macht, dem Bundestag, zu nähern, altert langsam. Zumindest langsamer als diejenigen, die ihnen von außen zuschauen und dabei schnell alt aussehen.
Ein Glück nur, dass sich Mathias Richling (54) jung genug gibt, um einem Altmeister der Naturwissenschaften, Albert Einstein, mit Perücke, Kittel und spitzer Zunge neues Leben einzuhauchen und dessen Relativitätstheorie auf seine Tauglichkeit fürs politische Parkett abzuklopfen.
Dafür muss der quirlige Schwabe nicht den Vorschlaghammer, sondern nur sein neues Nonstop-Programm ("E=m·Richling²") aus der Tasche ziehen: Die Stoibers und Steinbrücks dieser Welt nagelt er auch ohne Gewalteinwirkung fest.
Nichts trifft schließlich mehr als der Spott eines Saalpublikums, das ganz praktisch genießt, was Einstein theoretisch untersuchte: ein angemessenes Verhältnis von Raum und Zeit.
Am Freitagabend passte beides zusammen: Im ausverkauften Schauspielhaus gab der chamäleonartige Kabarettist eine Lehrstunde in Sachen Politik und Physik. Und auch die Chemie stimmte - jene zwischen dem Entertainer und seinem Publikum.
Kein Wunder, denn Richling fühlt sich sichtlich wohl. Er tänzelt unermüdlich über die Bühne, wischt sich Schweißtropfen von der Stirn, überspitzt sinnlose Politikerphrasen ("Das will ich gerne leugnen"), deklariert Finanzminister Peer Steinbrück im Vorbeihüpfen zum "neuen Ungeheuer von Loch Berlin" - und könnte damit zwar nicht der ideale Schwiegersohn, aber der perfekte Politiker sein.
So, wie Abgeordnete Steuererhöhungen per Salami-Taktik ankündigen, geht auch Richling schichtenweise vor - er häutet sich wie eine Zwiebel. Schwarzes Jackett, rotes Hemd, goldene Krawatte: Der Schwabe sieht nicht nur so aus wie das personifizierte Deutschland, er umgibt sich auch mit den passenden Utensilien. Gartenzwerge, Bauzäunen, Schubkarren: Das ganze Land ist eine Baustelle, Politiker sprechen aus Mülltonnen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt . . .
Dass Richling viele Nummern bereits im Fernsehen zum Besten gegeben hat, macht den Spaß nicht kleiner. Im Gegenteil: Der wunderbar Wandelbare folgt den Gesetzen der Physik und des gehobenen Kabaretts so geschickt, dass man sich an Horst Köhlers Scheitern am Teleprompter und der verschnupften Ulla Schmidt ("Ärzte sind für Krankheiten da, ich für die Gesundheit; im Grunde habe ich mit Ärzten nichts zu tun") gar nicht satt hören kann.
Auch das ist im kabarettistischen Kosmos selten genug: Bei Richling fällt man - im Gegensatz zu manch anderen Stimmenimitatoren - in kein Loch, bis der nächste Promi auftaucht. Auch die Wartezeiten dazwischen sind mit punktgenauer Dramatik und tiefgründigen Pointen gefüllt.
Keine Frage: Zu den Glanznummern gehört die verdutzte Angela Merkel auf Sigmund Freuds Psycho-Couch. Auch als Dolmetscher von Wladimir Putin sprudelt das Nonsens-Vokabular nur so aus Richling heraus - all dies sind bitterböse Beispiele dafür, wie man politisch korrekt aneinander vorbei reden kann.
Alles ist schließlich relativ. Nicht nur das Wahrheitsempfinden der parodierten Politiker, sondern auch die Zeitwahrnehmung der Zuschauer. So werden aus knapp zwei Stunden gefühlte 30 Minuten. Eine Reise in Lichtgeschwindigkeit also - und ein pausenloses Vergnügen.