Kultur Wirkungsvolle Pointen, liebkoste Reime

Mechthild Großmann las in der voll besetzten Citykirche Texte von Else Lasker-Schüler und Gabriele Tergit.

Mechthild Großmann beherrschte den sachlichen Ton von Gabriele Tergit und nahm sich behutsam die Worte von Else Lasker-Schüler vor. 

Foto: Fries, Stefan (fri)

Über die vielen Facetten von Mechthild Großmann ist schon viel gesagt worden. Tanztheater Pina Bausch und Tatort Münster – das sind nur zwei Stationen einer 50-jährigen Schauspielerkarriere. Dank der markant rauchigen Stimme glänzt auch die Vorleserin Großmann. Und wenn sie dann noch Gedichte von Else Lasker-Schüler rezitiert, die in diesem Jahr in aller Munde ist …

Kein Wunder, dass Mechthild-Großmann-Fans die Citykirche komplett füllten. Mit Gabriele Tergit gab es neben der Jubilarin einen zweiten klangvollen Namen. Es ist das Pseudonym der 1894 in Berlin geborenen Elise Reifenberg. Die Autorin teilt mit ELS die jüdische Herkunft – und das „erzwungene“ Exil in Palästina, das dem Abend den Titel gab.

Großmann gibt dem Publikum ein Versprechen – und löst es ein

Moderatorin Anne Linsel stellte Tergit als Doppelbegabung vor. In den 20er Jahren arbeitete sie als Gerichtsreporterin. Bis 1933 hatte sie Erfolg mit kritisch-satirischen Romanen. In Palästina besann sie sich auf ihre Anfänge und hielt ihre Umwelt in Reportagen fest, die der Band „Im Schnellzug nach Haifa“ versammelt. „Es ist der Blick einer guten, also kritischen Journalistin“, so Linsel. Darum seien diese alltagsgesättigten Texte eine interessante Ergänzung – zu den poetischen Phantasien, mit denen Lasker-Schüler auf die neue „Heimat“ reagierte. Für die Lesung in der Citykirche hatte der Schriftsteller Michael Zeller die Textauswahl besorgt.

Else und die Tergit – Großmann mochte beide. Sehr sogar. Deren Namen sprach sie aus, als wollte sie dem Publikum ein Versprechen geben. Es folgten Überschriften und Sätze, mit denen sie es zuverlässig einlöste. Sie beherrschte den sachlichen Ton der Journalistin und strich deren Pointen wirkungsvoll heraus. Behutsam nahm sie sich die Worte der Dichterin vor, liebkoste geradezu Metaphern und Reime. Da waren auch exaltierte Gesten erlaubt. Mal legte die Rezitatorin die Hand aufs Herz, dann wieder vergrub sie ihre Finger in der prächtigen Mähne.

In Jerusalem lebte die gebürtige Elberfelderin am Rande der Armut. Diese unsichere Existenz konnte man aus dem „Abendlied“ heraushören. „Erblasst ist meine Lebenslust“, hieß es zum Auftakt. Doch die allmählich höher steigende Stimme deutete an, dass es einen Ausweg aus der Resignation gab. Die Schlussworte, „für alle Ewigkeit“ gesprochen, klangen nach einem Triumph. Ebenso wurde deutlich, dass die Lyrikerin ihrem Liebesthema bis zuletzt treu blieb. „Ich will dir viel, viel Liebe sagen“, las Großmann und ließ beim Blick in den Saal ihre Augen blitzen.

Auch der Chronistin Tergit war Überschwang nicht fremd. Nachdem sie knapp und präzise eine Reihe von „Auswanderern“ vorgestellt hatte, pries sie die „wunderbaren Nächte“ des Landstrichs. „Der Himmel ist höher als im Norden.“ Überhaupt waren Tergits Naturbeschreibungen eine Klasse für sich. Und ihr Fazit klang nach Hier und Heute: „Immer herrscht das Klima, nicht der Mensch.“

Anders als ihre Schriftstellerkollegin lebte Tergit nur wenige Jahre in Palästina. Sie folgte ihrem Mann 1938 nach London und lebte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 1982. Ihre Reportagen deuten an, warum sie nicht im jüdischen „Versuchsland“ bleiben wollte. Es sei „nicht Europa, sondern eine Mischung aus Russland und Amerika“.

Stürmisch applaudierte das Publikum Mechthild Großmann, die zwei so unterschiedlichen Künstlerinnen ihre Stimme gegeben hatte. Die Schauspielerin bedankte sich für den Zuspruch, hielt dann für einen Moment inne und zog ihr persönliches Fazit. „Schön und traurig“ zugleich sei dieser Abend gewesen.