Premiere: Oedipus ist ein moderner Manager

„König Oedipus“ ist auf dem besten Weg, ein Kult-Stück in der Börse zu werden. Thomas Braus brilliert majestätisch.

Wuppertal. Die Vorurteile sitzen tief. Altertümliche Sprache, komplizierte Familienverhältnisse, anstrengendes Thema - längst nicht alle Plätze waren bei der Premiere von Sophokles’ "König Oedipus" belegt. Dabei hat die Auftakt-Inszenierung der Wuppertaler Bühnen im Rahmen der sechs Stücke, die sie an der Börse inszenieren (die WZ berichtete), durchaus die Kraft, alle Vorurteile zu widerlegen. Noch mehr: Sie könnte zum Kult-Stück der Saison werden.

Regisseur Hüseyin Michael Cirpici, der sich bereits an vielen großen Häusern einen Namen machte, nimmt die Zuschauer bei der Hand. Patrick Schnicke, Darsteller des Sehers Teiresias, stellt die handelnden Figuren vor, nennt deren Herkunft und Rolle im Drama. Und schon sind die Zuschauer mittendrin. Oedipus, der eben noch mit seiner Ehefrau Iokaste turtelte, diskutiert mit seinem Volk über den frisch übermittelten Seherspruch. Schon hier macht Thomas Braus den Durchsetzungswillen dieses Mannes deutlich, seinen Drang, über alles genau Bescheid zu wissen.

Das Volk, bei Sophokles der Chor, wird hier dargestellt von jungen Schauspielern des Kölner "Theaters der Keller". Mitten im Satz springen die Worte von einem zum anderen, hin- und hergerissen wendet sich Braus nach links und rechts. Entrüstet ist dieser Mann voller Tatendrang, als er erfährt, dass der Tod seines Vorgängers auf dem Thron und im Ehebett bisher ungesühnt blieb. All seine Kraft will er einsetzen, den Missetäter zu strafen und dadurch sein Volk von der Pest zu befreien.

Immer mehr redet sich dieser Oedipus in Rage. Fein nuanciert Braus zwischen Erstaunen, Verärgerung und übergroßem Selbstvertrauen. Wenn er den Chor herumkommandiert, den Seher mit seinen unbequemen Aussagen beschimpft und Iokaste ausfragt, ist ein moderner Manager gar nicht so weit weg. Die anderen Figuren verblassen etwas neben diesem Machtmenschen.

An Kuohn spielt die Königin Iokaste distanziert, als ahne sie die furchtbaren Verwicklungen bereits. Andreas Möckel bleibt als Bruder der Königin ruhig und beherrscht durch alles Gefühlschaos. Die dicken, im Licht fein schimmernden Schloss- oder eher Burgmauern, die Bühnenbildner Jeremias Vondrlik geschaffen hat, bieten dazu viele Assoziationen: Sie strahlen Macht und Unnahbarkeit aus, Glanz und Festlichkeit - und ermöglichen es, Figuren wie schwebend dahinter erscheinen zu lassen. Am Ende gibt es viel Applaus für die eindringliche, spannungsgeladene Inszenierung.

Ensemble: 4 von 5 Punkten

Regie: 5 von 5 Punkten

Bühnenbild: 5 von 5 Punkten