Riedel-Kantine ist die ideale Tanzfläche
Für bewegende Momente ist das Ensemble bekannt. Diesmal wurde jedoch nicht im Opernhaus, sondern bei Riedel getanzt.
Wuppertal. Es sind Szenen wie aus einem Kino-Film: Wäre James Bond in Wuppertal im Einsatz, täte er womöglich nichts anderes. Über Dächer zu laufen und hoch hinaus zu wollen — im Film sind das Heldentaten, die dazugehören. Doch beim Tanztheater Wuppertal sind das Zutaten, mit denen man so nicht gerechnet hat.
Nun ist zwar nicht Geheimagent 007 im Riedel-Gewerbepark unterwegs. Die Szene an sich ist allerdings nicht weniger atemberaubend: Pablo Aran Gimeno klettert so rasant die Außentreppe zum Schornstein empor, dass die Zuschauer, die weit unter ihm — im Innenhof — stehen, nur staunend die Köpfe in den Nacken legen können.
Was macht das Ensemblemitglied da oben bloß? Pablo Aran Gimeno tanzt — genauso wie seine Kollegen Scott Jennings und Silvia Munzón López, die ein schräg abfallendes Dach kurzerhand zur Tanzfläche erklären.
Doch das ist längst nicht alles: Çagdas Ermis rennt währenddessen in den Innenhof, als sei er auf der Flucht. Oder ist er — im Gegenteil — gar auf der Suche? Die Antwort war am Wochenende den Zuschauern selbst überlassen: Insgesamt 600 Zuschauer wurden Zeugen eines außergewöhnlichen Spektakels.
„Underground II: Mit Suppe“ heißt das Projekt, das Pina-Bausch-Tänzer häppchenweise in den Riedel-Räumen an der Uellendahler Straße servierten. Nach dem großen Erfolg des ersten Gastspiels auf ungewöhnlichem Tanz-Terrain — im September war das Ensemble im Elefantenhaus im Wuppertaler Zoo aufgetreten — gehen die Tänzer diesmal einen Schritt weiter.
So nah dran wie am Samstag und Sonntag waren Zuschauer des Wuppertaler Tanztheaters noch nie. Denn die Mischung aus menschlicher Bewegung, technischer Projektion und handgemachter Live-Musik führt zweieinhalb Stunden lang durch ein Gebäude, das der Öffentlichkeit sonst verschlossen bleibt.
Gruppenweise geht es durch dunkle Flure, in der sich drei Männer und eine Frau in verschiedenen Paarungen näherkommen und in denen das Tänzer-Quartett teilweise nur mit Taschenlampe Licht ins Dunkel bringt.
Die Tänzer laden zur Entdeckungstour ein: Wer alles sehen will, muss von Station zu Station neugierig bleiben, mitwandern und mitunter den Bauch einziehen, wenn direkt neben ihm getanzt oder gerannt wird. Das führt dazu, dass man nicht immer jedes Detail sehen kann — ermöglicht aber auch Einblicke, die es bei regulären Aufführungen im Opernhaus definitiv nicht gibt.
Da ist zum Beispiel die Erkenntnis, dass Tanz auf beeindruckendem Niveau nicht nur nach Schweiß „duften“ kann. Es riecht programmgemäß nach Suppe, denn der Titel ist Realität. Bevor sich die Gäste in der Pause zwischen drei Essensvarianten entscheiden können, haben sie erst einmal keine Wahl: Es erklingt Schlagermusik.
Dazu wird mitten in der Kantine getanzt, als gehörten Liedzeilen, bei denen es Nicht-Romantiker schüttelt („In meinem Herzen, da bist nur du allein“), zum normalen Repertoire des Tanztheaters. Es ist eine feine Prise Ironie, mit denen die Tänzer ihre Performance würzen.
Auch Paul White setzt auf ein Augenschmunzeln, das schon Pina-Bausch-Stücke so unverwechselbar gemacht hat. Der Tänzer sitzt, verkleidet als Obdachloser, vor der Kantine und hält den eintretenden Zuschauern ein Pappkarton-Schild entgegen („Ich hatte Talent — helfen Sie mir, es wiederzubekommen“). Schlagfertig sind auch die, die die Botschaft lesen: „Sollen wir eine Suppe rausbringen?“, scherzt eine Zuschauerin.
Keine Frage: Was sich bei Riedel abspielt, ist ein Experiment — eines, das sich gelohnt hat. Und so gibt es doch etwas, das man aus dem Opernhaus kennt: Bravo-Rufe erfüllen die Kantine.
Dort sitzen die Zuschauer vor der Großküche und schauen genüsslich zu, wie gleichzeitig musiziert, getanzt und gekocht wird. Am Ende sind alle satt und zufrieden: Mit viel Applaus feiert das Publikum die Tänzer, die zunehmend neue Wege gehen und dabei offensichtlich den richtigen Kurs eingeschlagen haben.