Oper Happy End für die Verführung
Stephan Prattes inszeniert „Der Liebestrank“ mit Schwung, Witz und Gefühl fürs Detail.
„Seduzione“ bedeutet vom Weg abbringen. Das kann ins Abseits führen, das kann aber auch neue Wege erschließen. Das Wort begleitet durch eine unterhaltsame Aufführung, die zeigt, auf welchem Weg eine alte Oper Menschen heute erreichen kann. „Der Liebestrank“ feierte am Wochenende im Opernhaus Premiere – als solide musikalische Präsentation, vor allem aber als überaus intelligente und trashig-bunte Inszenierung. So macht Oper durch alle Generationen hindurch Spaß.
In nur zwei Wochen schrieb Gaetano Donizetti (1797 bis 1848) „Der Liebestrank“ mit seiner weltberühmten Arie „Una furtiva lacrima“. Das lustige Melodram in zwei Akten, am 12. Mai 1832 am Mailänder Teatro della Canobbiana uraufgeführt, wurde eines der größten Erfolge des Komponisten, der insgesamt knapp über 70 Opern schuf. Die Handlung ist einfach, kreist um den unglücklich verliebten jungen Bauern Nemorino, der durch einen vermeintlichen Liebestrank des Wunderheilers Dulcamara die Zuneigung der angebeteten, launischen Pächterin Adina gewinnen und so den Nebenbuhler und Garnisonssergeanten Belcore ausstechen will. Er übersteht eine Fast-Heirat Adinas, seinen Beitritt zum Militär, gewinnt das Herz der Angebeteten und das Erbe seines Onkels. Das wirkliche happy End aber widerfährt Dulcamara, der aus Nemorinos Erfolg das Geschäft seines Lebens macht. Was in Stephan Prattes’ Inszenierung der massenhafte Verkauf von Smartphones, Symbol heutiger Verführung, bedeutet.
Der Österreicher Prattes versteht sich auf Shows, Revuen und Musicals. Für Donizettis Oper hat er sich auch in Wuppertal umgeschaut, hat Ideen, Eindrücke gesammelt und ein überschäumendes Angebot an Bildern daraus gefertigt, das den Zuschauer vom ersten Moment an fesselt. Ein detailverliebter und symbolträchtiger Augenschmaus, der manchmal die Oper und ihre Handlung vergessen lässt. Etwa wenn das Bauernmädchen Giannetta (Wendy Krikken) das Geheimnis um die Erbschaft Nemorinos bei einer Yoga-Stunde zwischen Baum- und Hunde-Haltung verrät, und so die Entspannung in heftigstem Zickenkampf untergeht. Einfach ein grandioser Einfall.
Aus dem aufgeblasenen Elefanten wird die Luft rausgelassen
Die Bühne ist ein giftgrün, übernatürlich schimmernder, zeitloser Raum, dessen Wände mit schwarzen, kaum zu entschlüsselnden Formen bemalt sind. In der Mitte steht ein vielfach verwendbares, bewegliches Säulenmeer, das Labyrinth, Sitz- oder Steh-Möbel sein kann. Das später, als Nemorinos Liebesleid wächst, durch einen riesigen aufgeblasenen pinkfarbenen Liebes-Elefanten ersetzt wird, vor dem auch noch ebenfalls pinkfarbene Plüschelefanten (eine der vielen Rollen, die der Chor auf großartige Weise übernimmt) zur angesetzten Hochzeit von Adina und Belcore tanzen. In der Tuffi-Stadt Wuppertal ein Volltreffer nicht nur an Karneval. Dass aus dem Elefanten später die Luft herausgelassen wird – wie aus Belcores eitler Werbung – ist nur ein stimmiger Gag von vielen.
Stimmig ist auch die Darstellung: Sangmin Jeon als braver und naiver Junge in kurzer Hose, der mehr Glück als Verstand hat. Ralitsa Ralinova als eitle, sexy Kratzbürste, die zum Schluss knapp die Kurve kriegt, die Buchstaben von Seduzione auf „Sei du“ reduziert und so auf ihre eigenen Verführungsfähigkeiten setzt. Simon Stricker als selbstverliebter wie lächerlicher Poser in Blumen-Uniform. Vor allem aber Sebastian Campione, der als eine Mischung aus der US-amerikanischen Comicfigur Joker, Flaschengeist und schmierigem Quacksalber zur Höchstform aufläuft.
Dazu die wundervolle Musik Donizettis, der zu den wichtigsten Opernkomponisten des Belcanto zählt. Das Sinfonieorchester erweist sich unter dem Ersten Kapellmeister Johannes Pell als exakter und schwungvoller Begleiter. Das Ensemble singt passgenau, vor allem Ralitsa Ralinova und Sangmin Jeon haben die Möglichkeit, in Arien ihr Können zu beweisen.
Szenenapplaus und am Ende minutenlange stehende Ovationen feiern eine gelungene Inszenierung.