Ulrich Klan feiert den unterschätzten Armin T. Wegner
Die Armin T. Wegner Tage erinnern an den Poeten und Pazifisten. Klan steuert ein Oratorium bei.
Herr Klan, was erwartet die Gäste bei den Internationalen Armin T. Wegner Tagen?
Ulrich Klan: Nach Berlin im vergangenen Jahr präsentieren wir das Programm jetzt wieder in Wuppertal. Im Geiste der Verständigung gibt es Begegnungen mit deutschen, türkischen, kurdischen und armenischen Künstlern und Referenten. Dazu gehören Vorträge — zum Beispiel von einer Nichte Armin T. Wegners und vom Rektor der Deutschen Universität in Armenien — , eine Ausstellung des Malers Kamo Tumasian und die Wuppertaler Erstaufführung des Filmes „Kinder der Steine — Kinder der Mauer“, den das Kölner Filmemacher-Paar Robert Krieg und Monika Nolte 2010 in Bethlehem drehte. Als Höhepunkt begegnen sich internationale Musiker im Passionskonzert der Kantorei Barmen-Gemarke. Dort ist auch Musik auf Wegner-Texte zu hören. Außerdem gibt es eine Uraufführung zur Erinnerung an den mutigen Journalisten Hrant Dink, der 2007 ermordet wurde: eine moderne Passion.
Was schätzen Sie — bis heute — an Armin T. Wegner?
Klan: Seine Zivilcourage, seine Gewaltlosigkeit und seine außerordentliche Sprache, die ich „konkrete Poesie“ nennen möchte.
Über Armin T. Wegner ist vieles berichtet und geschrieben worden. Gibt es etwas, das bislang — aus Ihrer Sicht — zu kurz gekommen ist?
Klan: Als Lyriker ist er immer noch unterschätzt — zu Unrecht, wie ich finde. Es wächst zwar erfreulicher Weise die Zahl der Wegner-Fans — darunter sind auch immer mehr junge Leute. Aber immer noch sind die Gedichte und das Gesamtwerk nicht wieder aufgelegt. Nur ganz wenig von Wegner ist im Buchhandel greifbar. Hier muss der Wallstein-Verlag, der die Textrechte hat, handeln. Und es ist höchste Zeit, Wegners Wirkung auf Zeitzeugen, die den Dichter noch selbst erlebt haben, und die Rezeption seines Werkes aufzuarbeiten und für das kulturelle Gedächtnis zu sichern. Dazu bereitet die Armin T. Wegner Gesellschaft einen Sammelband vor — zum 125. Geburtstag des Dichters im Oktober 2011.
Ein Höhepunkt der Veranstaltungstage soll die Uraufführung Ihres Oratoriums werden. Wie entstand die Idee zum Werk?
Klan: Schon unmittelbar nach dem Mord an Hrant Dink — ich organisierte damals eine große Erinnerungsveranstaltung mit türkischen, kurdischen und armenischen Freunden — suchte ich nach Ausdruck für das, was geschehen war. Wir haben keine Worte im Angesicht des Todes. Um ihn anzuschauen und vielleicht zu überwinden, helfen keine Sprüche — und schon gar nicht politische Parolen. Die sind ja schon tödlich für die Lebenden. Irgendwann wusste ich: Es geht nur mit Musik — in der Form eines modernen Oratoriums, über die Grenzen der Kulturen und Religionen hinweg und mit den eigenen Worten des Getöteten. Umgeben von Worten aus der Bibel, dem Talmud, dem Koran — und aus dem Werk bestimmter west-östlicher Dichter.
Die Passion ist eine Hommage an Hrant Dink. Was zeichnete ihn aus?
Klan: Legendär waren Hrant Dinks Humor, sein Mut und seine Aufrichtigkeit. Mit seiner zweisprachigen Zeitung „Agos“ löste er — persönlich sehr klar und prinzipienfest — auf kreative Weise festgefahrene Fronten auf, er überwand Ignoranz, Verengungen und Verhärtungen. Mit seinem hartnäckig-liebevollen Charisma konnte er den Hass „unterwandern“, war imstande, Eis zum Schmelzen und unterschiedlichste Menschen an einen Tisch zu bringen. Er erhielt internationale Auszeichnungen — in Deutschland den Henri Nannen Preis. Aber seine — auch posthume — Wirkung ist viel größer und geht über politische Ziele weit hinaus. Nicht nur ich sehe ihn nachhaltig in der Tradition von Jesus, Mahatma Gandhi oder Martin Luther King.
Das Oratorium wird in deutscher, türkischer und armenischer Sprache aufgeführt. Haben Sie keine Bedenken, dass sich Zuhörer durch die Sprachvielfalt überfordert fühlen könnten?
Klan: Nur in den Chorsätzen gibt es mehrsprachige Passagen. Dort ist es aber immer nur ein wesentlicher Satz, der in allen Sprachen gesungen wird — ein Mal übrigens auch noch auf Kurdisch. Dabei habe ich die Musik so komponiert, dass dieser gemeinsame Satz immer gut zu verstehen ist. Hier in Wuppertal erklingt er natürlich zuerst gut verständlich auf Deutsch. Es gibt keine Rezitative. Längere Originaltexte von Hrant Dink werden nicht gesungen, sondern von professionellen Schauspielern gesprochen. Sie sind nur in einer Sprache zu hören — in deutschen Aufführungen auf Deutsch. So kann man das Ganze sehr gut verfolgen. Das Oratorium ist aber komplett übersetzt worden, so dass spätere Aufführungen in der Türkei und in Armenien mit Türkisch oder Armenisch als Hauptsprache stattfinden werden. Aber auch dort natürlich immer mit den vielsprachigen und gleichberechtigten „Begegnungen“ im Chor.
Gerade bei einem solch ernsten, „schweren“ Thema kann Musik die Herzen berühren. Mit welchem Gefühl soll das Publikum nach Hause gehen?
Klan: Die Musik möchte erinnern, trösten und stärken. Am Schluss wird es ganz hell. Und vielleicht spüren die Menschen mit Freude eine gewisse Leichtigkeit, die ich im letzten Chor dem schönen Satz von Else Lasker-Schüler gab — ebenfalls dreisprachig: „Es hat nie ein Engel den anderen nach seiner Konfession gefragt.“