Prävention erreicht ihre Grenzen
Die Unfallzahlen im Tal haben sich leicht verbessert. Grund zur Freude sieht die Leiterin der Direktion Verkehr aber nicht.
Tanja Veljovic leitet seit September 2016 die Direktion Verkehr im Polizeipräsidium Wuppertal, ist also zuständig für die Städte Wuppertal, Remscheid und Solingen. Im Interview spricht sie über die Tücken der Statistik, Elterntaxis und Wuppertals beschwerlichen Weg zur Fahrradstadt.
„In Wuppertal leben Fußgänger gefährlich“ — so titelte die WZ im Frühjahr nach der Präsentation der Verkehrsunfallstatistik für 2017. Die Unfallzahlen waren gegenüber 2016 um zehn Prozent gestiegen. Das kann der Leiterin der Direktion Verkehr nicht gefallen.
Tanja Veljovic: Wir hätten uns bei den Fußgängern sicher auch etwas anderes gewünscht. Aber das zeichnete sich leider ab. Nach drei Quartalen hatten wir praktisch schon den Wert des Vorjahres erreicht.
Lässt sich der Anstieg erklären?
Velljovic: Würden wir gerne. Das folgt aber keiner Gesetzmäßigkeit. Wenn Sie auf die Zahlen der Vergangenheit schauen, fallen Ihnen die Kurven auf. Deshalb nehmen wir intern den Mittelwert der letzten drei Jahre als Vergleich. Und da wird es wahrscheinlich keine große Veränderung geben. Eine traurige, aber realistische Prognose.
Wie ist denn der aktuelle Trend?
Veljovic: Im ersten Quartal 2018 hatten wir im Bereich Wuppertal 49 Unfälle mit verletzten Fußgängern. 2017 waren es im gleichen Zeitraum 80. 2016 dann 47. Auffallend ist, dass zwei von drei Fälle sogenannte Überschreitungsunfälle waren, also der Unfall beim Überqueren der Fahrbahn passierte. Eher seltener kam es zu Unfällen beim Abbiegen. Was die Verkehrsunfallhäufigkeitszahl angeht, also die Fälle auf 100 000 Einwohner liegen wir im ersten Quartal für den Präsidiumsbereich mit 89,08 auf Platz zwei. Nur Bochum hat noch weniger.
Ein Grund zum Freuen?
Veljovic: Nein. Jeder Unfall ist einer zu viel. Und wir haben noch neun Monate vor uns. Da bleiben wir vorsichtig.
Schlecht, sagen Kritiker, schneidet Wuppertal, beim Thema „Unfälle mit Kindern“ ab. 140 wurden im vergangenen Jahr verletzt, auch da eine Steigerung.
Veljovic: Leider. Da liegen wir nicht besonders gut, jedoch auch nicht besonders schlecht. Aber da muss man sich auch die Zahlen genauer anschauen. Von den 140 in Wuppertal wurden 84 Kinder als Beifahrer, also als passive Verkehrsteilnehmer, verletzt. Nicht als Fußgänger oder Radfahrer. Und dass Solingen zum Beispiel 2017 deutlich weniger Kinderunfälle hatte als 2016, lag auch daran, dass 2016 dort ein Schulbus verunglückt war — mit einer gleich zweistelligen Zahl von verletzten Kindern.
Das sind jetzt Erklärungen der Statistik. Was macht die Polizei aber praktisch?
Veljovic: Die präventiven Möglichkeiten der Polizei sind, das müssen wir leider sagen, erschöpft. Es gibt Kampagnen und die grundsätzliche präventive Verkehrssicherheitsarbeit vom Kindergartenalter an. Über die Schule und Aktionen wie „Junge Fahrer“ können wir weiter viele Verkehrsteilnehmer erreichen. Dann klafft aber eine Lücke, erst im Seniorenalter kommen wir wieder an Autofahrer ran.
Ein Problem, was zumindest in den vergangenen Jahren, größer geworden ist, sind die sogenannten „Elterntaxis“. Wie versuchen Sie da einzuwirken?
Veljovic: Erst mit freundlichen Worten — dann kommt das Ordnungsamt. Es ist bei vielen Eltern eine Mischung aus Bequemlichkeit und Sicherheitsbedenken. Wir haben dazu Schwerpunktaktionen nach den Sommerferien und dann noch mal nach den Herbstferien. Da heißt es: Kräfte bündeln an den Schulwegen. Eine Herausforderung sind die „Anfänger-Eltern“. Die haben Angst, mal loszulassen. Mir persönlich ist es auch schwer gefallen, meine Tochter die letzten 100 Meter zur Schule alleine gehen zu lassen. Aber da muss man sich dran gewöhnen. Ist das dann endlich geschafft, geht es aber mit neuen Eltern im neuen Schuljahr wieder los.
Viele schreien auch in anderen Bereichen nach mehr Kontrollen.
Veljovic: Ja, aber unsere Ressourcen sind begrenzt. Und nicht immer macht es einen Sinn. Es gibt einige, die fordern zum Beispiel Schwerpunkteinsätze gegen Fußgänger. Auch ich habe meine Direktion damit in die Pflicht nehmen wollen. Mehrere Stunden lang, zum Beispiel Passanten zu kontrollieren, ob sie vielleicht bei „Rot“ über die Ampel gehen. Aber erstens ist das keine häufige Unfallursache. Und zweitens kostet das den Fußgänger, wenn er damit eben keinen Unfall direkt verschuldet, fünf Euro. Das lohnt nicht. Wir wollen die Unfallursachen bekämpfen.
Immer wieder gibt es dabei Diskussionen über Unfallschwerpunkte und -häufigkeitsstellen.
Veljovic: Der Begriff Unfallschwerpunkt ist gar nicht definiert. Schwieriger wird es bei Unfallhäufigkeitsstellen. Dies ist ein normierter Begriff, der viele Einzelmerkmale erfüllen muss. Dafür werden auf bestimmten Strecken und/oder an Knoten die Unfälle dort mit Verletzten und Toten gezählt und zum Beispiel, ob das Fahrzeug noch fahrbereit ist. Unfälle mit Blechschäden zählen dann gar nicht. Und die Unfälle müssen auch alle gleichen Typs sein. Es gibt jetzt aber gesetzliche Bestrebungen, das zu ändern, damit es eindeutiger wird.
Wie sieht es denn beim Thema „Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr“ aus?
Veljovic: Aus unserer Sicht ist das gar kein Problem. Die Stadt sagt das und wir bestätigen das: Es gab bisher keine Unfälle, die sich auf diese Neuregelung zurückführen lassen. Deshalb unterstützen wir die Freigabe, wo wir können.
Also Wuppertal auf dem Weg zur Fahrradstadt?
Veljovic: Bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit. Unser Eindruck ist, dass auf den Straßen, auch wenn eine Steigerung da ist, relativ wenige Radfahrer unterwegs sind. Ich bin ehrlich: Auf der B 7 würde ich auch nicht mit dem Rad fahren wollen. Aber es gibt gute Ansätze.
Schon länger wünscht sich die Fahrrad-Lobby, die Busspuren für Radler freizugeben, damit diese auch die Hauptstraßen besser nutzen können. Das hat viele Diskussionen ausgelöst, umgesetzt wurde es noch nicht flächendeckend. Zum Beispiel bei der Freigabe der Busspur zwischen Kasinokreisel und Robert-Daum-Platz konnte sich bislang die Politik nicht einigen.
Veljovic: Wir haben von Seiten der Polizei eine gute Zusammenarbeit zu allen Themen, was den Radverkehr angeht, auf allen Arbeitsebenen. Aus verkehrslenkerischer Sicht gibt es keine Hinderungsgründe dafür, eine Busspur nicht für den Radverkehr freizugeben. Dies ist sogar grundsätzlich vom Bundesrecht so gewollt. Die Kommune hat aber das Recht, die Busspur für andere Verkehre zu sperren.