Filmproduktion Setbesuch bei Wuppertaler Serienmachern: Punk trifft Prunk (mit Video)
Wuppertal · Die Produzenten von „Outside the Club“ drehen auf einer Wasserburg im Münsterland für die neue Arte-Serie "Haus Kummerveldt". Die WZ hat ihnen einen Besuch abgestattet.
Männer auf Socken schleichen durch das Schlafzimmer einer jungen Frau. Sachte verlagern sie ihr Körpergewicht, denn jeder unvorsichtige Schritt könnte dem alten Holzboden ein tiefes Knarren entlocken. Und dann ist es vorbei. Nicht mit dem Schlaf der Dame mit der Rüschenkleidung, sondern mit der Filmszene. Das sind die kleinen Hindernisse, um die die 45-köpfige Crew beim Dreh auf der Wasserburg Haus Welbergen im Münsterland herummanövrieren muss. Andere Stolpersteine sind moderne Heizkörper und Steckdosen. Denn die dürfen in der Serie, deren Handlung in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs spielt, in keiner Einstellung sichtbar sein. Ebenso wenig wie Kondensstreifen am Himmel oder Reifenspuren im Wald. Zeitreisen ist aufwendig. Das lernen Neuankömmlinge in diesem Mikrokosmos sofort.
Haus Kummerveldt heißt die historische Serie, die das nächste große Projekt für die Wuppertaler Serienproduzenten von „Outside the Club“ darstellt. Seit 2016, als Marcel Becker-Neu, Marc Schießer und Tobias Lohf mit den Dreharbeiten zu ihrer Grimmepreis prämierten Webserie „Wishlist“ begannen, hat sich einiges getan. Damals jonglierten die Filmemacher noch gewaltig. Becker-Neu und Schießer schrieben das Drehbuch, Schießer führte Regie, Becker-Neu schrieb den Titelsong und stand als Schauspieler vor der Kamera, hinter der Tobias Lohf stand. Gleichzeitig produzierten die Wuppertaler, stellten zur Not auch mal privat ein Zimmer als Drehort zur Verfügung oder holten Brötchen für die Crew.
Bei Haus Kummerveldt ist jetzt alles anders. Marc Schießer und Tobias Lohf konzentrieren sich auf ihre Rolle als Produzenten – wobei die sechsteilige Serie eine Gemeinschaftsproduktion von „Outside the Club“ und „Goldstoff Filme“ aus dem Münstlerland ist. Marcel Becker-Neu hingegen läuft als Baron mit Pommade in den Haaren und Seidenkrawatte durch die Wasserburg. „Ich bin hier nur als Schauspieler und genieße das total“, sagt Becker-Neu. Tobias Lohf freut sich ebenfalls darüber, sich auf seine Hauptfunktion fokussieren zu können: „Das ist eine ganz andere Erfahrung. Eigentlich ist das normal, nur für uns bisher nicht.“ Während „Goldstoff Filme“ beim Dreh federführend ist, wird „Outside the Club“ eine größere Rolle in der Postproduktion spielen. Darauf hatten sich die Wuppertaler in der Zeit nach „Wishlist“ spezialisiert und Streaming-Serien mit hoher Reichweite wie „How to sell Drugs online (fast)“ (Netflix) oder „Die Wespe“ (Sky) den finalen digitalen Schliff verpasst.
Filmen auf der Burg: Unten wird gedreht, oben wird gewohnt
Nun also statt Wuppertaler Großstadtdschungel die Wälder und Burgen des Münsterlands. Das hängt mit den Fördergeldern zusammen, wie Produzentin Lotte Ruf erklärt. Finanziert ist die Serie unter anderem mit Geldern des Landes NRW und aus einem Topf des Münsterlandes. Weil auch Brandenburg mitgefördert hat, wurde ebenfalls eine Woche dort gedreht. Doch das Hauptmotiv ist das Haus Welbergen, das mehrere Wochen ins Haus Kummerveldt verwandelt wird. Die Burg entpuppte sich dabei als logistischer Segen. „Oben im Haus gibt es zehn Gästezimmer, wo die Crew zum Teil wohnt“, berichtet Ruf. „Das hat etwas von Klassenfahrt.“ Jeden Tag wird dank einer mobilen Küche, die vor der Burg Stopp gemacht hat, frisch gekocht. Das sei wichtig, weil – kleiner Insider-Tipp – gutes Catering enorm zur gehobenen Laune am Set beitrage. Die soll nämlich über die Dauer eines Zehn-Stunden-Drehtags nicht absacken.
Dass die Stimmung bei der Serien-Protagonistin selten positiv ist, verlangt das Drehbuch von Cecilia Röski. Luise von Kummerveldt (gespielt von Milena Straube) liebt Literatur und will berühmte Schriftstellerin werden. Doch das passt nicht in die Rolle, die die Männer im Kaiserreich des 19. Jahrhunderts ihr zugestehen wollen. Ihre Welt besteht aus ihrem Vater, dem Baron, (Michael Goldberg), der Hausdame (Justine Hauer) und einem Diener (Fabian Nolte) mit denen sie auf einem Wasserschloss im Münsterland lebt. Gerade als Luise ihr Manuskript an einen Verlag schicken will, stirbt ihr Vater, woraufhin Luises jüngerer Bruder Veit (Marcel Becker-Neu) ihr Vormund wird.
Es wird eine Serie, die das Gestern vorführt und aufs Heute deutet. Über die Bilder, die Regisseur Mark Lorei einfängt, spielt auch mal Punkmusik. Auch der volle Titel der Serie sprengt jede Norm: „Haus Kummerveldt oder wie die adlige Luise Hysterie heilte, indem sie so lange schrie, bis ihr Korsett von der Taille in des Vaterlandes Fresse platzte“. Das Format war zunächst nicht leicht zu verkaufen. Produzent Marc Schießer berichtet: „Die Sender sagten pauschal: Wir wollen nichts Historisches.“
Dass sie am Ende dann doch einen Ausflug ins Kaiserreich wagten, lag nicht zuletzt daran, dass die ersten drei Folgen der Serie, die bereits 2019 gedreht wurden, als Filmversion bei diversen Festivals ordentlich abräumten. Wenn die nächsten drei Folgen – nun durch die Förderung mit höherem Budget – abgedreht sind, wird die komplette Serie aller Voraussicht nach im Frühjahr in der Arte-Mediathek zu sehen sein und später im Fernsehen ausgestrahlt werden. Schießer glaubt, die Serien-Idee hat sich letztendlich wegen des „punkigen Spirits“ durchgesetzt. Der Ruf eilt der Serie inzwischen voraus, auch weil auf Instagram bereits vor der Veröffentlichung die Vorfreude für den Stoff geschürt wird. Und auch die englischsprachigen Moderatoren, die sich bei einer internationalen Verleihung an der deutschen Aussprache des kompletten Titels versuchten, dürften sich die Serie gemerkt haben.