Der Geist Pina Bauschs Underdogs and Role Models erobern für 48 Stunden das Wuppertaler Schauspielhaus

Wuppertal · Pina Bausch Zentrum war wieder „under construction“ – Festival zeigt ganze Vielfalt aktueller Tanzkunst.

Die junge Sati Veyrunes ist Protagonistin von „Hope Hunt“, mit dem das Festival eröffnet wurde.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Schon der Anfang ist außergewöhnlich und bewegungsintensiv: Aus einem schäbigen Klein-Pkw wummern die Bässe, der Fahrer lehnt lässig rauchend an der Karosserie. Der Kofferraum springt auf und eine junge Person in weiter Trainingskleidung rollt heraus, beginnt sofort, auf dem Asphalt zu tanzen, zu springen, zu rollen und zu rennen – und mit den Menschen zu flirten, die zuschauen. Oona Dohertys Stück „Hope Hunt“ passt in keine Schublade, ist überaus physisches Theater mit sozialer Botschaft. Steht damit symbolisch für das Festival „Under Construction – Underdogs and Role Models“, das es am Freitagabend eröffnete. Die Veranstaltung brachte Menschen, Tanz, Musik und Kunst in das Schauspielhaus und darum herum zurück. Ein 48 Stunden währender Energieschub.

Das Schauspielhaus hat schon viele umjubelte Veranstaltungen erlebt, war Spielstätte des Tanztheaters Pina Bausch. Bis es Mitte 2013 geschlossen wurde. Mit der Entscheidung des Rates, hier ein Tanzzentrum zu etablieren, das den Namen der international bekannten Choreografin tragen soll, kam auch der Gedanke auf, die Zeit bis zu der dafür nötigen Umbauphase mit Veranstaltungen zu überbrücken und Leben in das Gebäude an zentraler Stelle der Stadt zu bringen.

Am Wochenende war es endlich so weit: Haus und Vorplatz wurden mit Tanzperformances, Musik, Animation, Rollerskating, Yogaübungen, öffentlichem Training, Clubbing, Konzerten, Parcours (vor den Garderoben), Installationen, Filmen (die man in bequemen Liegestühlen anschaute), bespielt. Und es gab Aktionen und Gespräche, die das Festival mit dem Thema Klimawandel verknüpften (siehe Seite 17 dieser Ausgabe), um die eigene Kreativität bewusst in ein konstruktives Umdenken zu investieren. Mit einem Liebesbekenntnis zu Haus und Festivalgelände („Schöner kann man es gar nicht haben“) begrüßte Tanztheater-Intendantin und Organisatorin Bettina Wagner-Bergelt am Freitag die Gäste.

Underdogs, das sind die Verlierer in der urbanen Gesellschaft. „Underdogs“ heißt ein Programm, mit dem die Compagnie „par Terre“ der Urban Art-Pionierin Anne Nguyen erfolgreich unterwegs ist. Nicht zu Unrecht wurde es in den Titel des Festivals aufgenommen. Denn was Sonia Bel Hadj Brahim, Arnaud Duprat und Pascal Luce zu Soul Music, die an das politische Klima der 1970er in den USA erinnert, aufbieten, ist eine beeindruckende Mischung aus Breakdance, Kampf-Posen, eingefrorenen Szenen, Theater.

Eine Performance von vielen an diesem Wochenende. Jede anders, jede Ausdruck von großer aktueller Tanz-Kunst und -Vielfalt, die mehr sein will – meist über Genregrenzen hinweg mit starkem theatralischem Akzent arbeitet. Die mal laut, mal leise, mal ausstattungsreich, mal puristisch ist. Und immer wieder Menschen ins Scheinwerferlicht rückt, die sonst im Schatten leben.

Bei „Hope Hunt“ verleiht die junge Sati Veyrunes der Sehnsucht junger Männer nach Hoffnung und Zukunft mit teilweise akrobatischen Bewegungen und provokativen Posen Ausdruck. Die Choreografie von Oona Doherty steht für die zeitgenössische Tanzszene in (Nord-)Irland.

Er braucht nur seinen Körper: McIntosh Jerahuni tanzt „Nehanda“.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Stets werden Genregrenzen ausgelotet und überschritten

Es gibt Uraufführungen wie Rainer Behrs „Zugvögel“, das zwischen Kampf und Innehalten changiert, zwischen Hektik und Erschöpfung, das den Liebesakt zwischen Mann und Frau mit Maschinengewehrsalven verbindet, anstrengt und unter die Haut geht. Auch Richard Siegal zeigt – nach seiner Arbeit „Ectopia“, die er für das Tanztheater schuf – eine Uraufführung, ein Quartett, das noch keinen Namen hat.

Und es gibt Stücke wie Nora Chipaumires „Nehanda“, eine poetische Oper, die die Legende eines Geistes untersucht, der in Simbabwe und Zentralmosambik beheimatet ist. Ein aus an- und abschwellenden Bewegungen des Solisten McIntosh Jerahuni bestehendes Stück. Ohne Musik – sein Atem, seine Füße geben Takt und Laut. Auch Pau Aran Gimenos „Un Cadavre Exquis II“ ist ein Solostück, das sich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschäftigt. 

Jorge Puerta Armentas „We are not nothing“ schließlich lebt von den 21 Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs Kohlstraße, mit denen er eine Performance entwickelt hat. Tanz ist eben vielfältig und auf vielen Bühnen zu Hause – auch im Schauspielhaus. Zumindest an diesem Wochenende.