Begrabt mein Herz in Wuppertal Erinnerungen an Heiligabend 1970

WZ-Kolumnist Uwe Becker erzählt von einem besonderen Fest, bei dem die Geschenkewahl mächtig schiefgelaufen ist.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Wenn die besinnliche Weihnachtszeit beginnt, dann duftet es in der Stadt nach gebrannten Mandeln, frischen Tannenzweigen, Glühwein, Gänsebraten, Zimtsternen, Lebkuchen, Lavendel und Spekulatius. Ich hoffe, ich habe jetzt keinen wichtigen Duft vergessen, auch ich bin ja vor Weihnachten immer etwas gestresst und aufgeregt. Man sieht gerade jetzt zahlreiche Zeitgenossen mit hochroten Köpfen, vollgepackten Tüten und vielen Rollen Weihnachtspapier unter dem Arm durch die Fußgängerzonen hetzen. Zur Besinnung und zur Ruhe kommen da anscheinend nur wenige Menschen.

An Weihnachten hatte ich als Kind immer die besten Gefühle des Jahres. Dieses Fest war für mich, ja, das kann man so sagen, als ob Weihnachten, Ostern, Silvester und mein Geburtstag auf einen Tag fallen würden. Ich habe mich im Vorfeld immer so gefreut, dass meine Mutter einmal bemerkte: „Elf Monate im Jahr läufst du schlecht gelaunt durch die Gegend, aber im Dezember grinst du über alle vier Backen. Ob das an den Weihnachtsgeschenken liegt?“ Meine Mutter hatte völlig recht, natürlich lag das an den tollen Geschenken, die ich jedes Jahr bekam.

An Heiligabend mussten mein Bruder und ich mit unserer Oma vorab immer in die Kirche. In diesen sauren Apfel mussten wir leider beißen, aber in Erwartung der kostspieligen, grandiosen Geschenke, überstanden wir die Messe mit Respekt und Anstand. Mein Vater blieb daheim, glaubte er an diesen ganzen „Quatsch“ doch nicht mehr, seit er aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war. Meine Mutter schaffte den Gang zum Gotteshaus nicht, weil ihre nikolaus-rot lackierten Fingernägel nie rechtzeitig trocken wurden.

Am Abend läutete mein Vater mit einem Glöckchen die Bescherung ein. Wir gingen dann singend vom Flur ins festlich geschmückte Wohnzimmer, wo uns schön verpackte Spielgeräte und ein wunderbar geschmückter Baum erwarteten. Danach gab es leckeren Salat aus Rindfleisch, roter Beete, Kartoffeln, Majonnaise, Essig und Walnüssen. Wenn meine Eltern eines konnten, dann war es Weihnachten zelebrieren.

Bei all diesen positiven Gedanken bleibt für mich aber ein Fest, es muss 1970 gewesen sein, in schlechter Erinnerung. Mein drei Jahre älterer Bruder wollte zu diesem Weihnachtsfest mit mir zusammen das Wohnzimmer herrichten und schmücken. Mein Vater durfte nur den Kohleofen anfeuern, meine Mutter nur ihren tollen Salat zubereiten. Und so standen dann an Heiligabend unsere Eltern mit den für uns bestimmten Kostbarkeiten im Flur und warteten auf das Bimmeln des Glöckchens. Unsere Idee war, meine Eltern von der Sorge zu befreien, im kommenden Jahr einmal in Verlegenheit zu geraten, weil einige Hygieneartikel, wie Toilettenpapier, Zahnpasta nicht vorrätig wären. Den Baum schmückten wir mit 50 Zahnbürsten und Wattebäuschen. Wir hatten 365 Rollen Klopapier so aufgebaut, dass man im ersten Moment glauben konnte, unter den riesigen Mengen Weihnachtspapier verberge sich ein VW-Käfer.

Meine Eltern waren zunächst begeistert. Alle Artikel waren allerdings im unteren Preissegement angesiedelt, und da mein Vater damals Hämorrhoiden hatte, war das Papier für ihn viel zu grob. Die Seife konnte meine Mutter wegen einer Hautallergie nicht benutzen, und zu guter Letzt mussten wir uns selber eingestehen, dass die Zahnpasta fürchterlich schmeckte. Wir hatten alles falsch gemacht – die Stimmung war getrübt. Der rote Salat meiner Mutter war natürlich wieder exzellent und unsere Geschenke alle schön und liebevoll ausgesucht. Wir schämten uns sehr. Das Toilettenpapier nahm mein Vater mit auf die Arbeit. Die 50 Tuben Zahnpasta und die annähernd 100 Stücke Seife übergab meine Mutter als Spende einer guten Bekannten, die am Heidter Berg in Barmen ein Heim für schwer erziehbare Mädchen leitete. Das fanden mein Bruder und ich dann im Nachhinein nicht ungeil.