Herr Lüdtke, bei dem mutmaßlichen Brandanschlag in Solingen haben wieder etliche Schaulustige ihre Smartphones gezückt. Fotos des verbrannten Mannes, der später im Krankenhaus starb, landeten ungepixelt im Netz. Wie verbreitet ist dieses Phänomen?
Interview Bergischer Polizeigewerkschafter Björn Lüdtke darüber, wie Schaulustige Polizeiarbeit behindern
Wuppertal · Welche Konsequenzen gibt es für Gaffer und warum ist dieses Phänomen so weit verbreitet?
Bei der Explosion in Solingen waren wieder einmal viele Schaulustige zu beobachten, die Aufnahmen von dem Geschehen in der Stadtmitte machten. Der Bergische Polizeigewerkschafter Björn Lüdtke erklärt, was dieses Verhalten für die Arbeit der Polizei bedeutet – und welche Konsequenzen es haben kann.
Björn Lüdtke: Das Problem mit Gaffern hat zugenommen. Gerade in einer Zeit, in der jeder ein Smartphone besitzt, das mit einer Kamera ausgestattet ist, hat sich das Phänomen multipliziert. Dazu tragen auch die vielen Online-Plattformen bei, auf denen jeder immer und überall seine Medien hochladen kann – beispielsweise mit Apps wie TikTok oder Snapchat. Bei vielen Menschen ist der Respekt vor der hochsensiblen Lebenssituation anderer nicht mehr vorhanden. Das sehen wir auch an den Autobahn-Gaffern, die an schwersten Unfällen vorbeifahren und mit der Kamera voll auf den Leichnam draufhalten.
Ab wann bewegen sich Gaffer im strafrechtlich relevanten Bereich?
Lüdtke: Das lässt sich pauschal schwer beantworten und muss im Einzelfall geprüft werden. Es gibt höchstpersönliche Lebensbereiche, die nicht gefilmt und veröffentlicht werden dürfen. Generell, sofern es sich nicht um eine Person des öffentlichen Lebens beziehungsweise der Zeitgeschichte handelt, muss die fotografierte Person einer Veröffentlichung zustimmen. Da gibt es auch zivilrechtliche Ansprüche zu berücksichtigen. Grundsätzlich gilt: Personen, die die Arbeit der Polizei konkret behindern, drohen Bußgelder.
Wie stark behindern Gaffer die Arbeit der Polizei – und wie geht diese dagegen vor?
Lüdtke: In der Regel fahren wir zu solchen Einsätzen in Begleitung der Feuerwehr, die für solche Fälle über mobile Sichtschutzwände verfügt. Das bedeutet, wir müssen in Material investieren und benötigen Personal, das sich darum kümmert. Ich hatte beispielsweise mal einen Einsatz in Remscheid an der Neuenkamper Straße, die stark frequentiert ist. Dort musste ich zwei Funkwagen abstellen, die eigentlich für die Unfallaufnahme notwendig gewesen wären. Die Kollegen darin mussten sich dann nur um die Schaulustigen kümmern. In solchen Situationen muss die Polizei die Spreu vom Weizen trennen und schauen, wer möglicherweise Unfallzeuge und wer einfach nur „erlebnisorientiert“ ist und illegale Aufnahmen macht.
In welchen Situationen erlebt die Polizei ein solches Verhalten noch?
Lüdtke: Es gibt immer eine erhöhte Aufmerksamkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern, wenn die Polizei etwas spektakulärer auftritt. Wenn die Kollegen beispielsweise an einem Samstagabend zu einer Schlägerei in einer Disko fahren und zwei bis drei Funkwagen eintreffen, wird schon die Anfahrt dorthin gefilmt. Häufig wird dann auch die Kamera direkt auf die Polizeibeamten gerichtet, die in einer solchen Situation womöglich etwas robuster einschreiten müssen, um die Streitenden zu trennen. Nicht selten werden solche Filmschnipsel dann aus dem Zusammenhang gerissen und veröffentlicht. Das kann dazu führen, dass völlig unbeteiligte Personen sich dazu berufen fühlen, das Ganze zu kommentieren oder gar zur Anzeige zu bringen. Das konnten wir im Fall des Messerangriffs in Mannheim beobachten, bei dem ein junger Polizist ums Leben gekommen ist. Bei dem Einsatz wurden ebenfalls Handyaufnahmen angefertigt, deren Veröffentlichung dazu geführt hat, dass unbeteiligte Personen aus dem gesamten Bundesgebiet die übrigen Polizeibeamten wegen angeblicher unterlassener Hilfeleistung angezeigt haben.