Bergische Universität Uni-Projekt: „Ein Teil der Gesellschaft lebt am Rand“
„Wir hatten eine Frau“, berichtet Andreas Kalweit, Professor für Manufacturing & Material Science der Fakultät Design und Kunst an der Bergischen Universität, „die kam aus gut situierten Verhältnissen in Düsseldorf.
Sie hat in der Kindheit nie Grenzen gezeigt bekommen, hat Ihre Grenzen immer weiter ausgereizt und ist in die Drogensucht abgerutscht. Mit 53 Jahren ist der Körper kaputt. Aber sie hat die schwere Sucht überwunden, ist immer noch in einem Methadonprogramm und geht heute in die Schulen, um Jugendliche aufzuklären. Und das tut sie auf eine Art und Weise, die nicht betroffen macht, sondern zeigt: Auch sie ist ein Teil der Gesellschaft.“
„Am Rande“ heißt das vom Institut Visionlab finanzierte Projekt, das Kalweit mit seiner Kollegin Anne Kurth in Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf initiierte. Im Fokus standen dabei Menschen, die aufgrund ihres sozialen Status als am Rande der Gesellschaft klassifiziert werden. „Unsere Studierenden lernen methodisch von den Grundlagen über die Methoden bis zu den realen Projekten den Prozess kennen.“ Ziel des Institutes ist die Entwicklung visionärer, zukunftsweisender und innovativer Produkte und Services, die Perspektiven für die technologischen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen der mittel- und langfristigen Zukunft formulieren.
Die Problemlagen
sind vielfältig
Die Projektidee begann mit einer alten Freundschaft, mit zwei Männern, die sich über Möglichkeiten einer interdisziplinären Zusammenarbeit unterhielten. Der eine, Designer Andreas Kalweit, der andere, Thomas Tackenberg, Sozialarbeiter und Streetworker. Zwei Professionen, die man schwer zusammendenken kann. Aber weit gefehlt. „Da denkt man dann gar nicht an Produkte“, sagt Kalweit, „aber wenn wir über konkrete Probleme gesprochen haben, dachte ich, dass man dazu auch gestalten kann.“ Sein Freund, ein diplomierter Sozialarbeiter, der an der Hochschule Düsseldorf lehrt, arbeitet mit Suchtkranken, Prostituierten und Obdachlosen. Die Problemlagen sind vielfältig. Vom Behördengang, über die Versorgung bis zu Übernachtungsmöglichkeiten gibt es diverse Abläufe, die kompliziert oder verbesserungsfähig sind.
Mit knapp 50 Teilnehmern startete die Düsseldorf-Wuppertal-Kooperation. Durch die Vermittlung des Streetworkers, der die Menschen seit Jahren betreut, wurde der Kontakt hergestellt und in Kleinstgruppen Interviews geführt. Dazu besuchten die Teams über fünf Monate jeden Montag Einrichtungen, lernten die Bedürftigen kennen und bauten Vertrauen auf. „Wir haben Interviews mit Betroffenen geführt, wir haben Stadtführungen mit Obdachlosen gemacht, Prostituierte und Suchtkranke begleitet“, berichtet Kalweit, „und dabei immer wieder die Lebenssituation hinterfragt.“ So erkannten die Teams nach und nach die Bedarfe, die es zu gestalten galt. Ideenansätze ergaben sich in Überlegungen zu Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose, denn „die werden in der Regel überall weggesperrt“, sagt Kalweit, die Städte seien für diese Menschen eher lebensfeindlich. „Das sind harte Bedingungen, denn die Plätze werden nach kurzer Zeit immer mal wieder geräumt. Es gibt keine guten Konzepte, wo die Menschen wirklich leben könnten und die Orte, die zur Verfügung gestellt werden, sind so weit von deren Wirkungsfeld entfernt, dass sie nicht genutzt werden.“
Ein weiteres zu lösendes Problem stellen fehlende Wasserspender dar, die es in vielen deutschen Städten nur marginal oder gar nicht gibt. „Obdachlose dehydrieren extrem im Sommer, haben nicht ausreichend Möglichkeiten, sich zu waschen“, sagt Kalweit und das sei ein wichtiger Bedarf. So entwickelte ein Student ein Modell, das auf das bestehende Wassernetz der Unterflurhydranten sowie auf den Strom der Straßenlaternen zurückgreift und so die vorhandene Infrastruktur nutzt. Der dazu gestaltete Wasserspender ließe sich nach Bedarf auch abbauen, warten und an anderer Stelle wiederaufbauen. Ebenso der Kontakt zu Behörden mit den oft unverständlichen Formschreiben, die weder der fremdsprachige Flüchtling noch der Wohnungslose versteht, könnten übersichtlicher werden.
In der Auseinandersetzung mit Menschen am Rande der Gesellschaft stellte sich das Team immer wieder die Frage, wie man den Kontakt zwischen Randgruppen und der Gesellschaft wiederherstellen könne. „Wir gucken immer weg“, sagt Kalweit, und fragt: „Wie kann man wieder hingucken?“ An dieser Stelle leisten die Projekte der beiden Hochschulen einen Beitrag, denn neben den bereits genannten Konzepten wurden auch Schutzräume konzipiert, in denen man geordnet, ohne Angst zu haben, beraubt zu werden, leben kann sowie praktische, unauffällige Aufbewahrungsmöglichkeiten für die wichtigsten Habseligkeiten, die eng am Körper anliegen und so einen Diebstahl im Schlaf verhindern.
Die Arbeit hat alle Beteiligten auch persönlich verändert. „Erst wenn ich hingucke, merke ich auf einmal, ich werde mit Sachen konfrontiert, die mich unsicher machen und auf die ich nicht zu reagieren weiß“, sagt Kalweit abschließend. „Durch diesen langen Dialog über mehrere Monate haben wir einen Zugang bekommen.“