Ministerpräsident Wüst sieht das anders Zoff um Lockerungen in NRW: FDP will 2G im Handel „zügig abschaffen“

Die Abschaffung der Corona-Regeln in einigen europäischen Nachbarländern haben einen Domino-Effekt: Auch in Deutschland steigt der Rechtfertigungsdruck - und auch in NRW gibt es unterschiedliche Meinungen dazu.

2G im Handel - eine Maßnahme, die in NRW bald fallen soll, wenn es nach der FDP geht.

Foto: dpa/Bernd Weißbrod

 Die nordrhein-westfälischen Regierungspartner CDU und FDP sind in der Diskussion um den Abbau von Corona-Schutzauflagen weiter uneins. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) schloss eine schnelle Rücknahme der Corona-Auflagen in Deutschland wie in vielen Nachbarländern aus. „Das kann natürlich erst möglich sein, wenn der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten ist, wenn wir sicher sein können, dass keine Überlastung des Gesundheitssystems droht“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch in Berlin.

FDP-Landtagsfraktionschef Christof Rasche forderte dagegen von Wüst bereits vor den nächsten Länder-Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 16. Februar eine Abkehr von den strengen Schutzauflagen. „Die Corona-Politik muss sich insbesondere an der Situation der Intensivstationen ausrichten, weg von der Inzidenz“, sagte Rasche der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ, Donnerstag). „Wir wollen wieder mehr Normalität ermöglichen.“ Die Liberalen wollten die 2G-Regel im Handel, die Zutritt nur Geimpften und Genesenen erlaubt, „zügig abschaffen“. Das Ansteckungsrisiko im Bekleidungsgeschäft sei genauso gering wie im Supermarkt. Auch die Testpflicht für Geimpfte und Genesene in der Gastronomie solle fallen.

Wüst betonte bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag, dass eine Rücknahme von Einschränkungen gut vorbereitet sein müsse. Wünschenswert sei ein „möglichst breit getragenes, gemeinsames, konsistentes Vorgehen“. Schrittweise Lockerungen müssten zugleich durch einen „Basisschutz“ wie Maske oder Abstand abgesichert sein. Diese Möglichkeit dürfe die Bundesregierung den Ländern nicht nehmen, warnte Wüst. „Wenn der Bundestag nicht handelt, wird am 19. März die Rechtsgrundlage für diese Basisschutz-Mechanismen entfallen. Das geht nicht.“ Es müsse mindestens eine einmalige Verlängerung bis zum Ende des Frühjahrs geben.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sprach sich im Fernsehsender RTL/ntv dafür aus, den für Mitte Februar prognostizierten Höhepunkt der Omikron-Welle zunächst abzuwarten. Der Moment sei erst dann erreicht, wenn der Trend bei der seit Wochen ansteigenden Neuinfektionsrate endlich wieder zurückgehe. „Diese hellseherischen Fähigkeiten, zu sagen, dann und dann können wir lockern, die habe ich nicht“, sagte Laumann. Daher bleibe er mit Öffnungsvorhersagen sehr vorsichtig.

Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp von der FDP forderte indes Lockerungen schon mit der zum 9. Februar anstehenden Aktualisierung der Corona-Schutzverordnung für NRW. Bei der Neufassung müsse es Anpassungen geben, sagte Stamp auf WDR 2. Beschränkungen für den Sport und die Jugendarbeit sollten auch für ungeimpfte Jugendliche aufgehoben werden. Die Kontrollen der Zutrittsbeschränkungen im Einzelhandel sollten auf Stichproben beschränkt werden, damit vor allem kleinere Läden nicht mit zusätzlichen Personalanforderungen überfordert würden. Schon jetzt müssten Öffnungen schrittweise vorbereitet und die Reihenfolge der Lockerungen verabredet werden, um sofort handeln zu können, „wenn der Kipp-Punkt der Entwicklung erreicht ist“.

Eine für den Fußball in NRW wichtige Änderung wurde allerdings schon vollzogen: Künftig sind wieder überregionale Großveranstaltungen im Freien mit bis zu 10 000 Menschen bei einer maximalen Auslastung von 50 Prozent erlaubt. Die Landesregierung passte die Coronaschutzverordnung am Mittwochabend entsprechend an. Wie das Gesundheitsministerium mitteilte, setzt die Landesregierung damit den zuvor gefassten Beschluss der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder um. Die neue Regelung gilt schon ab diesem Donnerstag.

Bei Veranstaltungen in Innenräumen gilt eine maximale Auslastung von 30 Prozent der jeweiligen Höchstkapazität, jedoch mit nicht mehr als insgesamt 4000 Zuschauern. Der 1. FC Köln zeigte sich erfreut und kündigte an, seine Klage gegen das Zuschauerverbot nun zurückzuziehen. „Wir begrüßen, dass die politischen Entscheidungsträger in Nordrhein-Westfalen schnell auf unsere Kritik reagiert haben und in Gesprächen mit uns unseren Argumenten für Lockerungen folgen konnten“, sagte FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle.

Der FDP-Politiker Stamp, der auch NRW-Familienminister ist, räumte ein, dass die Omikron-Welle auch die Kitas und Eltern derzeit vor besondere Herausforderungen stelle. Auch in den kommenden Wochen seien „einzelne Schließungen“ von Kitas nicht zu vermeiden, sagte er.

Nach vorläufigen Zahlen der Landesjugendämter verfünffachte sich die Zahl der infizierten Kitakinder in NRW von Dezember (3014) bis Januar auf mehr als 15 000. Auch die Zahl der infizierten Mitarbeiter verfünffachte sich demnach beinahe von 1798 auf 8406. An einem durchschnittlichen Werktag im Januar mussten 168 Einrichtungen ganz (rund 44) oder teilweise (rund 124) wegen der Pandemie geschlossen bleiben. Das sind mehr als doppelt so viele als noch im Dezember gemeldet worden waren. Laut Lagebericht des NRW-Familienministeriums waren im Januar 1,6 Prozent der geförderten Kitas von Schließungen betroffen (Dezember: 0,6 Prozent).

Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner fordert Lockerungen der Corona-Maßnahmen in Deutschland - Schleswig-Holstein und Hessen wollen 2G im Handel abschaffen

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sich Forderungen nach einer baldigen Lockerung der Corona-Regeln angeschlossen. „Es geht nicht darum, dass jetzt alle Maßnahmen fallen“, sagte der FDP-Politiker am Donnerstag in der RTL-Sendung „Guten Morgen Deutschland“ angesichts der noch steigenden Inzidenzen inmitten der Omikron-Welle. Aber eine verlässliche Planung sei notwendig, etwa für den kulturellen Bereich oder die Veranstaltungsbranche. Er verwies darauf, dass am 19. März die gesetzlichen Grundlagen der gegenwärtigen Corona-Maßnahmen auslaufen. Lindner nannte als Beispiel die bundesweite Abschaffung der 2G-Regel im Einzelhandel, die zuletzt Schleswig-Holstein und Hessen angekündigt und weitere Bundesländer aufgrund von Gerichtsbeschlüssen bereits umgesetzt haben. Die 2G-Regel richte wirtschaftlichen Schaden an, ohne dass sie einen wirksamen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leiste. „Und deshalb ist 2G im Handel nicht erforderlich, die Maske ist es schon“, betonte der Minister bei RTL und ntv.

2G bedeutet, dass nur Geimpfte oder Genesene Zutritt haben. Die Lockerungsdebatte hatte trotz Rekord-Infektionszahlen zuletzt an Fahrt aufgenommen. Der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte eine „konkrete Exit-Strategie“ mit klar definierten Schritten aus den Corona-Beschränkungen. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder sprach sich in der „Bild“ (Donnerstag) dafür aus, „konsequente Öffnungsschritte“ jetzt anzugehen. Manche Experten mahnten jedoch zur Vorsicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht sich gegen Lockerungen aus

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Voraussetzungen für Lockerungen in der Corona-Krise noch nicht erfüllt. „Die Lage ist nicht danach“, sagte der SPD-Politiker am Mittwochabend im ZDF-„heute journal“. Auf die Frage, ob die Regierung in Dänemark mit dem jüngsten Verzicht auf praktisch alle Einschränkungen mehr Mut habe, sagte Scholz: „Ich glaube, wir machen das, was für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande richtig ist: nämlich dafür zu sorgen, dass wir möglichst viele Leben und möglichst viel Gesundheit schützen durch diese Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, einvernehmlich mit den Ländern, mit Beschlüssen im Deutschen Bundestag als Grundlage dafür und auch von einem sehr großen Konsens in Deutschland getragen.“

Der Kanzler fügte hinzu: „Und gleichzeitig ist das die Voraussetzung dafür, dass wir auch, wenn wir den Höhepunkt der Infektionen hinter uns haben werden, dann über Lockerungsschritte entscheiden und beraten können. Aber da sind wir leider noch nicht angekommen.“ Die Debatte über eine Aufhebung von Maßnahmen in Deutschland hatte zuletzt trotz steigender Corona-Zahlen Fahrt aufgenommen.

(dpa)