Ausbeutung "Arbeiterstrich" in Köln: Schwerstarbeit für einen Hungerlohn

Seit Jahren hat sich in Köln ein florierender „Arbeiterstrich“ gebildet. Osteuropäische Tagelöhner bieten dort ihre Dienste zu Tiefstpreisen an. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki geißelt das als "Sklaverei" (mit Video).

Foto: Stephan Eppinger

Köln. Bei Wind und Wetter drücken sie sich am frühen Morgen in dunklen Ecken an der Hansemannstraße oder an der Venloer Straße im multikulturellen Kölner Stadtteil Ehrenfeld herum. Manchmal warten die Männer stundenlang darauf, dass ein Kleintransporter mit Schrittgeschwindigkeit des Weges kommt. Die „Codes“ zwischen den meist osteuropäischen Tagelöhnern aus Rumänien und Bulgarien und ihren Arbeitgebern sind klar definiert: Einmal hupen bedeutet, dass nur ein Arbeiter benötigt wird, zweimal Hupen heißt, jemand braucht zwei Personen für einen Job. Dann sammelt sich eine Traube von Menschen um das parkende Auto. Wer den billigsten Preis macht, darf einsteigen.

Bei den Tätigkeiten handelt es sich oft um extrem unterbezahlte, jedoch körperlich stark fordernde Handlangerarbeiten — etwa, wenn es darum geht, Steine auf einer Baustelle zu schleppen oder beim Umzug schwere Möbel in den achten Stock zu hieven. Tätigkeiten, für die sich angesichts der Dumpinglöhne so mancher Deutsche sicherlich zu schade wäre. Wer sich auf diesem knallharten Schwarzmarkt illegal verdingt, kann vom Mindestlohn nur träumen. Doch sind die Tagelöhner, die auf dem Kölner Arbeiterstrich ihre Dienste für einen Hungerlohn anbieten, zumeist dort noch besser dran als in ihren Herkunftsländern. Viele von ihnen gehören zur ethnischen Minderheit der Roma und werden in ihrer Heimat diskriminiert und systematisch ausgegrenzt.

Auf der anderen Seite stehen die Profiteure des Geschäfts mit der Armutseinwanderung, denen es gar nicht billig genug sein kann. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki fand in der vergangenen Woche klare Worte für die in Köln hinlänglich bekannten Verhältnisse auf dem Ehrenfelder „Arbeiterstrich“: In seiner Videokolumne geht er mit den Nutznießern der „modernen Sklaverei“ hart ins Gericht und verspricht: „Ich werde nicht länger wegschauen und schweigen. Es ist ein Skandal, dass diese Ausbeutung Tag für Tag vor unseren Augen geschieht.“ Weiter ergriff Woelki Partei für die hilflose Position der Tagelöhner, die auf jeden Cent angewiesen seien, um ihre Familien in der Heimat irgendwie durchzubringen. Das Verhalten der Arbeitgeber bezeichnet er als „zynisch und rücksichtslos“ und stellt unumwunden fest: „Diese Wirtschaft tötet.“

Doch dürfte der eindringliche Appell des Kardinals an das Gewissen von Menschen, die selbiges offenbar nicht besitzen, das Problem nicht lösen. Bei der Stadt Köln ist der Arbeiterstrich seit Jahren ein offenes Geheimnis. Die Zuständigkeit im Hinblick auf die Schwarzarbeit liegt dabei allein beim Zoll, erklärt Stadtsprecher Lars Hering. Das Ordnungsamt tritt indes nur dann auf den Plan, „wenn die Personen vor Ort eine Ordnungswidrigkeit begehen und beispielsweise gegen die Kölner Stadtordnung verstoßen“.

Liegen nicht gerade konkrete Lärm- oder Vermüllungsbeschwerden oder auch „satzungswidrige Nutzungen wie etwa das Wildpinkeln auf benachbarten Spielplätzen“ vor, könne das Ordnungsamt nicht einschreiten. Derweil gebe es durchaus auch aus EU-Fonds geförderte Hilfsangebote, die von dem betroffenen Personenkreis aber nicht angenommen würden. „Den Arbeitern geht es um das schnelle Geld und nicht um langfristige Perspektiven“, so Hering.

Auch der Zoll habe nur bedingt Handlungsmöglichkeiten, um den ausbeuterischen Schwarzmarkt zu bekämpfen, sagt zumindest Jens Ahland, Sprecher des Hauptzollamtes Köln. „Grundsätzlich können wir niemandem verbieten, rauchend an einer Straßenecke zu stehen und in ein Auto einzusteigen, wenn jemand hupt. Wir als Zoll haben ausdrücklich nur die Befugnis, konkrete Tätigkeiten zu kontrollieren und gegebenenfalls Hinweisen aus der Bevölkerung nachzugehen“, erläutert er. „Deshalb ist es sehr schwer, im Falle einer möglichen Schwarzarbeit den Nachweis zu führen.“ Stärker als der Arbeiterstrich würden deshalb ganz gezielt Unternehmen und öffentliche Baustellen kontrolliert, um Schwarzarbeiter in flagranti zu erwischen.

Nun würde der naive Laie vielleicht annehmen, dass es ein Leichtes wäre, bei einem stadtbekannten Arbeiterstrich die Verfolgung bestimmter Autos aufzunehmen — etwa, wenn ein Zollbeamter gerade eine verdächtige Situation beobachtet, wo möglicherweise gerade ein illegaler Deal abgewickelt wird. Dafür besitze der Zoll aber keine Kapazitäten, erklärt Ahland. „Wir verfügen über keine zivilen Ermittler, die Observationen durchführen könnten. Ein verdächtiges Auto zu verfolgen, entspricht nicht dem Standard-Prozedere beim Zoll.“

Ob die Hilflosigkeit der Behörden angesichts des Problems nun den Tatsachen entspricht oder zum Teil auch vorgeschützt ist, dürfte den betroffenen Arbeitern derweil egal sein. Lale Konuk, Projektkoordinatorin beim Kölner Verein Veedelsmanagement Ehrenfeld, will die Aufmerksamkeit auf die oft ausweglose Situation der Armutseinwanderer lenken und diese nicht zu Kriminellen stigmatisieren. „Die Menschen haben schlichtweg keine andere Möglichkeit und sind einfach nur froh, wenn sie ein paar Euro zu ihrer Familie nach Hause schicken können.“

Mit einer Beratungsstelle und Weiterbildungsangeboten für die Betroffenen versuchen Konuk und ihre Mitstreiter, die Situation der Armutsmigranten in Ehrenfeld zu verbessern und ihnen bei Alltagsproblemen zu helfen. Denn auch heute werden sie wieder an den Straßenecken stehen. Für ein lausige paar Euro am Tag.