Archivar-Verband: Höchstes Kulturgut vernichtet
Stuttgart (dpa) - Der Einsturz des Historischen Stadtarchivs in Köln hat nach Ansicht des Verbands Deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) höchstes Kulturgut unwiederbringlich vernichtet.
Der Verband hat bereits einen Experten nach Köln geschickt, der mit Kollegen vor Ort die Möglichkeiten sondiert, was aus den Trümmern noch zu retten ist. Der VdA-Vorsitzende und Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg, Robert Kretzschmar, zeigte sich im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa am Mittwoch erschüttert über den Einsturz des Archivhauses.
Wie hoch schätzen Sie aus Sicht des Archivars den Schaden durch den Einsturz ein?
Kretzschmar: „Von der historischen Dimension und der Größe her gehört das Historische Stadtarchiv in Köln zu den bedeutendsten Stadtarchiven Europas. Das ist höchstrangiges Kulturgut, das nun zum Teil unwiederbringlich verloren ist. Die Bedeutung bemisst sich darin, dass es alles Unikate sind, die sind unersetzlich. Eine Urkunde ist eben nur einmal da, das ist etwas anderes als ein Buch, das vielfach gedruckt wird. Das gleiche gilt für die Schriftstücke aus dem Nachlass von Schriftstellern wie Heinrich Böll. Wenn Kulturgut weg ist, ist es weg.“
Gibt es keine Kopien oder anderweitige Sicherungen von dem wichtigsten Archivgut?
Kretzschmar: „In der Bundesrepublik werden von dem Großteil der Archivalien Sicherungsverfilmungen gemacht. Aber man hat dann nur noch die Information, nicht aber mehr den historischen Träger der Information. Eine Pergamenturkunde ist nicht zu ersetzen. Ebenso wenig wie Dinge aus dem Nachlass von Böll. Es ist schließlich auch ein Unterschied, ob man ein Gemälde von Leonardo da Vinci hat oder ob es nur noch als Foto erhalten ist.“
Gibt es für solche Fälle Notfallpläne?
Kretzschmar: „Auf unserm Verbandstag 2008 in Erfurt haben wir über Fälle wie den Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar oder Schäden durch Hochwasser diskutiert. Aber so einen Fall erwartet man eigentlich nicht. Mit dem Einsturz eines ganzen Archivgebäudes haben wir nur in Kriegszeiten gerechnet, aber nicht in einer friedlichen Stadt, mitten in Deutschland. Das erschüttert mich.“
Was ist nun zu tun?
Kretzschmar: „Erst einmal steht natürlich die Suche nach den Vermissten im Vordergrund, das hat höchste Priorität. Über die Suche nach dem Archivgut ist es schwer, Prognosen abzugeben, da vieles verschüttet oder durch eingetretenes Wasser beschädigt sein kann. Aus kollegialer Solidarität müssen wir mit allen verfügbaren Restaurierungsstätten nun in Deutschlands unsere Hilfe anbieten, um möglichst viel dieses hochrangigen Kulturguts zu retten.
Kann man eine Lehre aus der Katastrophe ziehen?
Kretzschmar: „Das einzige wäre, zu schauen, welche Gefahren könnten im Umfeld eines Archivbaus lauern, aber die sind oft nicht zu sehen und kommen oft von Außen, wie in diesem Fall möglicherweise durch den U-Bahn-Bau. Bei dem Gebäude an sich handelte es sich um einen aus klimatischen und anderen Aspekten funktionierenden Archivbau. Der Grundsatz ist, dass Archive an einem sicheren Ort untergebracht werden sollten. Aber eine Ansiedlung außerhalb kann natürlich auch nicht die Lösung sein. Ein Archiv muss in der Innenstadt sein, um für den interessierten Bürger zugänglich zu sein.
Gespräch: Georg Ismar, dpa