Beth Ditto: Die schwergewichtige Stil-Ikone

Mit scheinbar unendlichem Selbstvertrauen ist die kleine und laute Beth Ditto zur weltbekannten Musikerin geworden.

New York. Als kleines Mädchen besitzt Mary Beth Ditto wenig, außer einem Traum und dem passenden T-Shirt dazu. Eine elegante Sängerin, die einer riesigen Muschel entsteigt, hat ihre Tante auf den Stoff gemalt — genauso will Ditto auch werden. „Mit sechs Jahren hatte ich mit dem Singen angefangen und immer gedacht, dass ich Sängerin werden würde.“

Dem Plan steht zunächst allerdings einiges im Wege: Ditto ist kein bisschen elegant, sondern ein „dickes, lautes, nerviges Mädchen“. Zudem kommt sie aus einem ärmlichen und von Gewalt geprägten Elternhaus im Städtchen Judsonie im ländlichen Nichts des US-Bundesstaats Arkansas.

Wie sie trotz aller Widrigkeiten den Einstieg ins Showbusiness schafft, mit ihrer Band Gossip (deutsch: Tratsch) Charts-Erfolge und ausverkaufte Tourneen feiert und zur Mode-Ikone wird, das beschreibt Ditto in ihrer Autobiografie „Heavy Cross“, die jetzt in Deutschland erschienen ist.

Ditto erzählt, wie sie in ihrer Kindheit sexuell missbraucht und geschlagen wurde, wie sie unter Hunger litt, immer wieder bei anderen Familienmitgliedern unterschlüpfte und trotzdem nie eine richtige Heimat fand, wie sie in der Schule wegen ihrer rundlichen Figur gehänselt wurde und wie sie Jahre brauchte, um mit sich, ihrer Homosexualität und ihrem Aussehen ins Reine zu kommen und darüber nicht selten zutiefst verzweifelte.

Aber die Sängerin hat das Buch nicht zum Jammern geschrieben, sondern zum Mutmachen, denn sie hat es trotzdem geschafft. „Diese Geschichten sind alle wahr, einige sehr schmerzhaft. Ohne all diese Geschichten, die guten wie die schlechten, wäre ich jedoch nicht die, die ich bin. Und ich bin stolz auf mich.“

Ihren leiblichen Vater kennt sie nicht, und auch den „gefühlten“ Vater ersetzt die Mutter durch neue Männer. Als Krankenschwester verdient die Mutter meist nicht genug, um ihre vielen Kinder zu ernähren. Alkohol, Gewalt und Missbrauch sind allgegenwärtig. „Ich war eine Heimatlose in meiner eigenen Familie“, schreibt die schrille Sängerin. „Ich hatte nicht mal ein Bett.“ Erst als sie in die Schule kommt, wird ihr Leben besser.

Ditto entdeckt ihre Vorliebe für Klamotten und Frisuren, findet Freunde und entwickelt Selbstbewusstsein. „Wenn es einem wichtig ist, was die richtigen Leute — nämlich die eigenen Freunde — von einem halten, kann man machen, was man will.“

Bald steht sie offen zu ihrer Homosexualität und ihrem Aussehen. Sie gründet erste Bands und zieht schließlich mit Freunden ganz weit weg. „Dass jemand Judsonia verließ, war sehr ungewöhnlich. Aber ich war auch ungewöhnlich. “ In der Fremde entstehen die ersten Alben von Gossip.

Mit dem Album „Music for Men“ schafft die Band 2009 den Durchbruch und wird überall auf der Welt gefeiert — außer in den USA.

„Es gibt etwas, das mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt, und das sind die Vereinigten Staaten.“ Niemand kenne sie in Portland im Bundesstaat Oregon, wo sie hingezogen ist. „Das lässt einen immer wieder demütig werden.“

Obwohl Ditto, die ihre üppigen Kurven gerne in knallengen Outfits zur Schau stellt, inzwischen preisgekrönte Sängerin ist und von Modezar Karl Lagerfeld höchstpersönlich zur Stil-Ikone erklärt wurde — ihre schwierige Kindheit werde immer ein Teil von ihr sein, schreibt sie. „Judsonia sitzt mir so tief unter den Fingernägeln, dass keine Maniküre der Welt etwas daran ändern könnte.“