Big Brother im Hotelschlafsaal
Ein Londoner Hostel bietet jetzt ein Zimmer an, in dem die Gäste 24 Stunden lang gefilmt werden. Das ist weltweit einmalig.
London. Sie suchen eine billige Bleibe, und es macht ihnen nichts aus, dass sie 24 Stunden am Tag gefilmt werden: Im "weltweit ersten Live-Hotelzimmer" quartieren sich junge Gäste aus der ganzen Welt ein. Jeden ihrer Schritte überträgt eine Kamera aus dem 14-Betten-Schlafsaal an neugierige Zuschauer im Netz.
Die Registrierung dauert nur Sekunden - schon ist man Zuschauer eines Spektakels, das selbst Londonern, die jeden Tag Dutzende Male von Überwachungskameras gefilmt werden, als Tabu-Bruch erscheint.
Wer zu früh einschaltet, wird allerdings enttäuscht: Um 11 Uhr vormittags herrscht im Live-Hotelzimmer meist gähnende Langeweile. Die allgemeine Bettschwere der jungen Bewohner um diese Uhrzeit dürfte mit der Menge an Dosenbier zu tun haben, die hier am Vorabend konsumiert worden ist.
Zwischen den Doppelstockbetten und Bergen mit zerwühlter Kleidung, Schuhen und Handtüchern geht es meist noch nach Mitternacht hoch her. "Am lustigsten ist es, wenn die Gäste ein, zwei Bier zuviel getrunken haben und dann versuchen, in ihre Etagenbetten hochzukommen", sagt Hostelmanager Rob Jones. Die Kritik an der Aktion in der mehrfach prämierten Kette "St. Christopher’s Inn" versteht er nicht.
"Das ist wirklich ganz unschuldig und harmlos", verteidigt Jones das Live-Hostelzimmer. Dabei sendet das Hostel ohne Pause jedes Husten seiner Gäste, jedes Handy-Klingeln, jeden Griff in die Unterhose, jede Diskussion in die weite Welt hinaus.
Sorgen, dass das Projekt in dem gemischten Schlafsaal außer Kontrolle geraten könnte, hat Jones nicht. "Bisher gab es zumindest keinerlei Vorfälle", sagt er. "Jeder, der meint, er könnte hier nachts ein bisschen Extra-Spaß haben, weiß ja, dass Freundin oder Eltern von Zuhause aus zuschauen könnten."
Gezwungen wird zu der Aktion übrigens niemand: Die Gäste müssen mindestens 21 Jahre alt sein; bei der Buchung willigen sie in die Live-Schaltung ein, und ein Schild an der Schlafsaaltür warnt sie zusätzlich. Wer nicht gefilmt werden will, hat immer die Option, in einem anderes, kamerafreies Zimmer des Hostels zu gehen.
Große Scheu hat kaum jemand. Als etwa um 13.30 Uhr eine Putzfrau in die schläfrige Stille platzt, lassen sich die Live-Touristen dabei beobachten, wie sie verkatert aus den Etagenbetten krabbeln. Zuschauer werden Zeuge von Unterhosenwechsel, flüchtiger Körperhygiene und Diskussionen über Glücksgefühle, die ein wiedergefundener Zehn-Pfund-Schein auslöst - bei Skandinavierinnen wie bei Franzosen.
Seit Neuestem können Zuschauer auch aktiv in das Geschehen eingreifen, indem sie dem Schlafsaal per Mausklick eine Runde mit 14 Bier für die Bewohner spendieren. "Wir überlegen gerade, ob wir nicht auch ein Nebelhorn im Zimmer anbringen sollten, das online getätigt werden kann", amüsiert sich Hostel-manager Rob Jones.