Born Free Foundation: Frei geboren — und dann?
Seit 30 Jahren setzt sich die Born Free Foundation für den Schutz geschundener Tiere ein — zum Beispiel in Äthiopien.
Düsseldorf. Der Anblick ist vielen Besuchern des Awash-Nationalparks im Osten Äthiopiens in trauriger Erinnerung: In einem winzigen Käfig lag dort jahrelang ein Löwe, wegen der Enge kaum fähig, sich zu bewegen, mit Augen, die von Resignation und Verzweiflung sprachen. Örtliche Reiseführer zeigten den Touristen den elenden Gitterkasten mitunter mit Stolz und Häme — ohne jeglichen Respekt vor der Kreatur.
Der Löwe Dolo hatte bereits seine ersten vier Lebensjahre unter unwürdigsten Bedingungen zugebracht. Dorfbewohner hatten die Raubkatze an eine nur einen Meter lange Kette gebunden. Wegen der ständig über den Hals reibenden Metallfessel blieb der Wuchs der charakteristischen Mähne so gut wie aus. Mangelernährung ließ das misshandelte Tier beinahe erblinden. Dann wurde es als Trophäe in den Awash-Park gebracht, wo es weitere drei Jahre dahinsiechte.
Nach zahlreichen Protesten von Touristen wurde die äthiopische „Wildlife Authority“ endlich aktiv und bat Mitarbeiter der Tierschutzorganisation Born Free Foundation, den Löwen abzuholen. Seither lebt Dolo mit der ebenfalls aus einer Notsituation geretteten fünfjährigen Löwin Safia in einem großen, wild bewachsenen Gehege, läuft zwischen Schirmakazien und Pinien umher und springt immer mal wieder am Zaun hoch. „Dann streckt er sich, wahrscheinlich, weil er es kaum fassen kann, dass er sich nun bewegen darf“, sagt der Zoologe Stephen Brend, der das 2011 eröffnete Tierschutzzentrum bei Addis Abeba leitet.
2009 hatte die äthiopische Regierung der Born Free Foundation in der Nähe des für seine herrlichen Wälder bekannten Ortes Menagesha ein mehr als 70 Hektar großes Gebiet zur Verfügung gestellt. Mit dem Ziel, dem illegalen Handel mit Wildtieren Einhalt zu gebieten und die Tierwelt besser zu schützen. Außerdem soll die Einrichtung helfen, die Bevölkerung zu einem besseren Umgang mit den Tieren anzuleiten. Auch Schulklassen aus Addis Abeba kommen regelmäßig, löchern Brend mit ihren Fragen und beobachten die Löwen beim Mittagsschlaf. Das Schutzgebiet ist einzigartig in dem ostafrikanischen Land.
Seit der Eröffnung vor drei Jahren haben Dutzende Tiere eine neue Heimat in „Ensessakotteh“ gefunden. Das amharische Wort bedeutet übersetzt so viel wie „tierischer Fußabdruck“. Derzeit leben 77 Tiere in den weitläufigen Gehegen, neben sieben Löwen auch mehrere Geparden, luchsähnliche Karakale, Riesenschildkröten, Schakale, Paviane, Vögel und Meerkatzen.
Besucher sind willkommen, zumindest wenn sie sich vorher anmelden. Brend will vermeiden, dass zu viele Beobachter die Tiere stressen und verstören. Vor seinem afrikanischen Abenteuer hat sich der Australier sieben Jahre lang im indonesischen Teil von Borneo für den Schutz von Orang-Utans eingesetzt.
Während mehrere Affen und Karakale bereits mit Funkhalsbändern versehen in der Umgebung ausgewildert wurden, werden die Löwen eine solche Chance nicht bekommen. „Sie bleiben bis an ihr Lebensende hier. Äthiopien ist viel zu dicht besiedelt, um sie freizulassen“, erklärt Brend. „Das ist eine Gefahr nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Löwen.“
Viele Tiere hat Brend in den vergangenen Jahren eigenhändig aus ihrer Gefangenschaft befreit. Paviane — darunter mehrere der nur in Nordäthiopien lebenden Geladas — wurden angekettet in Privathäusern und Bars gehalten.
Geparden, die vor allem aus der an Somalia grenzenden Region Äthiopiens stammen, werden gefangen, um mit wohlhabenden Arabern ins Geschäft zu kommen. „In der nächsten Woche werden wir drei weitere Geparden abholen“, sagt Brend, der in „Ensessakotteh“ zusammen mit 44 Äthiopiern arbeitet. Unterstützung bekommt er dabei von der in Somaliland aktiven Deutschen Welthungerhilfe, die ihn immer wieder auf gefangene Geparden aufmerksam macht.
An schrecklichen Geschichten mangelt es im Schutzgebiet nicht. Eine ist die von Kebri: Der höchst aggressive Löwe wuchs in einem viel zu kleinen Käfig eines Militärcamps in der Nähe von Harar auf. Seine Mutter hatten Farmer vergiftet, weil sie Nutztiere angegriffen hatte. „Als wir ihn da rausholten, fanden wir überall auf dem Boden Steine, Flaschen und Stöcke. Offenbar haben die Soldaten Kebri misshandelt“, sagt Brend. Noch heute brüllt und tobt die Raubkatze, wenn sich Besucher ihrem Gehege nähern.
Der Zoologe verabschiedet sich und hebt noch schnell ein kleines Stück Plastik vom Boden auf. Die Natur in „Ensessakotteh“ soll unberührt bleiben. Eine Schulklasse wartet im Schatten eines Feigenbaums. „Guten Morgen! Habt ihr Lust, etwas über die afrikanische Tierwelt zu lernen?“, fragt Brend. Die Schüler nicken gespannt.