Buchvorstellung: Die vielen Gesichter des Ruhrgebiets

Autor Gerhard Spörl stellte ein Buch über das Ballungszentrum vor. Mit dabei: Ministerpräsident Armin Laschet.

Foto: ruhr2010

Düsseldorf. Es gibt Dinge im Ruhrgebiet, an die musste Gerhard Spörl sich erst mal gewöhnen. Selbst aus dem tiefbayerischen Nordostoberfranken stammend, erschien es dem Journalisten zunächst wie ein exotisches Ritual, als er zum ersten Mal bei einem Fußballspiel in der Schalke-Arena in Gelsenkirchen Zeuge wurde, wie der blau-weiße Fanblock vor dem Anpfiff mit allem gebotenen Pathos das „Steigerlied“ anstimmte. „Die sangen da, dass gerade Kohle ausgehoben wird. Das fand ich etwas merkwürdig“, gibt er zu — damals nicht wissend, dass der Abbau des „schwarzen Goldes“ in einem der größten Ballungsräume Europas untrennbar mit dem ausgeprägten Lokalpatriotismus seiner Bewohner verbunden ist.

Die Faszination für das Ruhrgebiet hat Spörl seither nicht mehr losgelassen. Jetzt hat er ihr ein Buch gewidmet, das er am Dienstagabend gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) im Düsseldorfer Maxhaus vorstellte. Sein zeitgeschichtliches Werk „Groß denken, groß handeln. Wandel, Bruch, Umbruch: Wie das Ruhrgebiet sich neu erfindet“ (Piper, 320 Seiten) beschreibt den Prozess des Reviers von einer Hochburg der Steinkohleförderung und Stahlverarbeitung zu einem hochmodernen Wissenschafts- und Bildungsstandort, um nur eine der Stärken des Ruhrgebiets im Zuge des Strukturwandels zu nennen. „Im Ruhrgebiet habe ich auch den Begriff Ewigkeitsschäden kennengelernt“, sagt Spörl im Hinblick auf etliche Schächte im Ruhrgebiet, die mit jährlichem Millionenaufwand ausgepumpt werden müssen, um ein Volllaufen im Erdreich zu verhindern. „Die Leute hier sprechen allerdings eher von Ewigkeitsaufgaben.“

Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung seines Buches könnte passender kaum sein, denn im Dezember dieses Jahres werden die letzten Zechen Deutschlands in Bottrop und im westfälischen Ibbenbüren ihren Betrieb einstellen. Eine Zäsur für die ehemaligen Bergarbeiter im Ruhrgebiet, geht für sie mit der Schließung doch endgültig eine Ära zu Ende.

Mag die Zeit der Kohle auch weitgehend abgelaufen sein — geht es nach Ministerpräsident Armin Laschet soll das Ruhrgebiet auch in Zukunft von der Stahlindustrie geprägt sein, die nicht ins Ausland abwandern dürfe: „Wir müssen alles tun, damit das möglich bleibt.“

Doch wie soll das Ruhrgebiet aussehen, wenn die Geschichten über rußgeschwärzte Maloche in der Grube endgültig Nostalgie geworden sind? Und wie wird die Digitalisierung die Region verändern? So viel wird an diesem Abend klar: Der Strukturwandel ist nicht von einem auf den anderen Tag abgeschlossen, sondern ist ein langjähriger Prozess, den die Menschen im Ruhrgebiet in vielen Aspekten bislang gut gemeistert haben. Große Strahlkraft für das Image der gesamten Region hatte etwa Essens Ernennung zur Kulturhauptstadt 2010 (stellvertretend für das gesamte Ruhrgebiet) oder auch Essens Titel der „Grünen Hauptstadt 2017“.

Auch wird das Ruhrgebiet immer wieder als Musterbeispiel für das friedliche Zusammenleben einer Vielzahl von Kulturen herangezogen, wobei es nicht zuletzt türkische Gastarbeiter waren, die in den 50er Jahren einen gewaltigen Beitrag zum Gelingen des Wirtschaftswunders beigetragen hatten. Auch dies lässt für Laschet nur eine Feststellung zu: „Der Islam gehört natürlich zu Deutschland.“

Für die sozialen Probleme der Region zeigt sich der Ministerpräsident sensibilisiert — so gibt es in vielen Ruhrgebietsstädten etwa ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle, wobei der Norden mit einer jüngeren und stärker migrantisch geprägten Bevölkerungsstruktur meist schlechter gestellt ist als die südlichen Stadtteile. Laschet: „Ich möchte, dass die besten Schulen in den schlechtesten Stadtteilen entstehen. Dort müssen wir mit der Digitalisierung anfangen.“