Bürgermeister von Altena: Ein Attentat und das Leben danach
Im November 2017 wurde Altenas Bürgermeister mit einem Messer angegriffen. Die politisch motivierte Tat vor Ort hat Spuren hinterlassen.
Altena. Majestätisch erhebt sich die Burg Altena auf einem bewaldeten Felsvorsprung über die Stadt und empfängt die Besucher beim Überqueren einer Brücke über die Lenne, die direkt ins Zentrum des beschaulichen Städtchens Altena im Sauerland führt. Denkmalgeschützte Altbauten prägen den Ortskern, man kennt sich in der gut 17 500 Einwohner zählenden Kleinstadt. Viele Gebäude sind mit grün-weißen Fahnen als Vorboten des traditionsreichen Schützenfestes geschmückt.
Angesprochen auf das postkartenträchtige Panorama kommentiert Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) lakonisch: „Das stimmt. Aber wie überall haben wir hier auch Schattenseiten.“ Ein Kamerateam der ARD ist an diesem Tag vor Ort. Seit dem 27. November vergangenen Jahres erfahren Altena und sein Bürgermeister eine nie zuvor gekannte Medienpräsenz.
Was war geschehen? Ein Mann aus Altena hatte Hollstein an jenem Tag mitten in einem türkischen Imbiss mit einem Messer angegriffen, als dieser dort abends nach einer Hauptausschuss-Sitzung etwas zu essen kaufen wollte. Das Attentat war offenbar fremdenfeindlich motiviert — der Beschuldigte, der sich seit einigen Tagen für die Tat vor Gericht verantworten muss, war frustriert über die Flüchtlingspolitik der Stadt, für die er Hollstein persönlich verantwortlich machte.
Denn der Bürgermeister hatte sich dafür eingesetzt, dass Altena rund 100 Flüchtlinge mehr aufnahm, als es eigentlich musste. Zum einen verfügte die Stadt zu dem Zeitpunkt über viel freien Wohnraum, und zum anderen sah Hollstein darin auch eine Chance, dem Fachkräftemangel in den heimischen Handwerksbetrieben entgegenzuwirken — so sollten Geflüchtete etwa baldmöglichst in Praktika vermittelt werden.
Die Entscheidung hatten alle im Rat vertretenen Fraktionsvorsitzenden gemeinschaftlich getroffen, ohne dass es dazu eines Ratsbeschlusses bedurft hätte. Für sein fortschrittliches Integrationskonzept mit seiner Mischung aus dezentraler Unterbringung und viel ehrenamtlichem Engagement war Altena später mit dem „Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin“ ausgezeichnet worden, der 2017 erstmals verliehen wurde. So richtete die Stadt etwa ein Begegnungszentrum in einem leerstehenden Gebäude ein. Ehrenamtliche Mentoren wie Nadja Mehari arbeiten dort intensiv mit den Flüchtlingen und stehen ihnen als Ansprechpartner bei ihren ersten Schritten in Deutschland zur Seite.
Das Attentat auf den Bürgermeister habe sie schockiert zur Kenntnis genommen, für fremdenfeindlich halte sie Altena aber keineswegs, sag Mehari, die selbst arabische Wurzeln hat: „Wir sind eine kleine, freundliche Stadt und die Menschen halten hier im Großen und Ganzen zusammen.“ Doch während die einen Altenas Weg beklatschten, war er für die anderen ein Affront.
„Ich stech’ dich ab! Mich lässt du verdursten und 200 Ausländer holst du nach Altena!“ Mit diesen Worten war der Täter mit einem Messer auf den Bürgermeister losgestürzt und hatte ihm eine 15 Zentimeter lange Schnittwunde am Hals beigebracht. Die Halsschlagader verfehlte er dabei nur knapp.
Vergeblich versuchten die Inhaber der Dönerbude, ein Vater und sein Sohn, den Angreifer von seinem Tun abzubringen, schrien ihn verzweifelt an, das Messer wegzulegen. „Ich hatte Todesangst“, gibt Hollstein zu. Schließlich gelang es ihm, den Arm, der das Messer führte, zu ergreifen und von sich zu stoßen. Rückblickend ist er überzeugt, dass seine Gegenwehr ihm das Leben gerettet hat. Der mutmaßliche Täter hingegen, der sich seit einigen Tagen vor Gericht verantworten muss, bestreitet jede Tötungsabsicht, will sich gar an nichts erinnern können.
Für Hollstein eher eine Schutzbehauptung. „Ich bin selbst Jurist und weiß, was er damit wahrscheinlich bezwecken will.“ Schon Minuten vor der Tat habe der Angreifer auffällig zu ihm hinübergeschaut, während Hollstein seine Bestellung aufgab. „Ich gehe davon aus, dass dieses Messer für mich bestimmt war.“
In seinem Auftreten ist Altenas Bürgermeister einer, der sich so einfach nicht unterbuttern lässt — stattliches Erscheinungsbild, fester Händedruck. Doch das Attentat hat Spuren bei ihm hinterlassen, auch seelische. „In den ersten Tagen nach der Tat musste ich mich überwinden, zu Fuß nach Hause zu gehen. Die Angst hat mich begleitet.“ Erst 2015 war es in Altena zu einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft gekommen, bei dem durch glückliche Umstände niemand verletzt wurde. Die Täter, damals 23 und 25 Jahre alt, wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Derweil häufen sich Angriffe auf Amts- und Mandatsträger, wie eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen zeigt: Demnach registrierte der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr 1527 Fälle von politisch motivierter Kriminalität. Im Vorjahr 2016 waren es gar 1840 Fälle — in beiden Jahren war ein Großteil der Taten im rechten Spektrum angesiedelt.
So hatte 2015 ein Rechtsextremist die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) ebenfalls mit einem Messer attackiert — aus Sicht der Staatsanwaltschaft, um sich für Rekers Asylpolitik zu rächen. „Nach dem Attentat auf mich habe ich mit Frau Reker ein sehr persönliches Telefonat geführt. Ich habe mich in der Situation von ihr verstanden gefühlt“, sagt Hollstein.
Im münsterländischen Bocholt hatte der vormalige SPD-Fraktionschef 2016 aufgrund von Morddrohungen zuerst einen Parteitag abgesagt und schließlich sein Ehrenamt niedergelegt. Auszug aus einer anonymen Mail: „Ihr Ratsjuden seid das letzte Pack und alle Bocholter wären froh, diesen Krebs der Stadt endlich loszuwerden. Sollte ich Sie mal auf offener Straße sehen, würde ich keine Sekunde zögern, Ihnen ein Messer in den Hals zu rammen. Sieg Heil.“
Entgleisungen, die Andreas Hollstein nur allzu vertraut sind. Denn das Attentat auf seine Person sei nur der gewalttätige Ausdruck des Hasses gewesen, der ihm schon seit Jahren in den sozialen Netzwerken entgegenschlage. Denn auch der CDU-Politiker erhält seit Jahren Hassmails und Drohungen, einige davon hat er in einem dicken Ordner dokumentiert. Denkbar tief unter die Gürtellinie zielt eine Schmähzeichnung von Hollstein, der einmal an Krebs erkrankt war. Sein Kopf ist auf der Karikatur übersät mit Krebsgeschwüren.
Vergleichsweise harmlos scheint da eine Postkarte mit einem Dampfer, mit dem der Absender Hollstein einen „Freifahrtschein nach Afrika“ ausstellte. Unterzeichnet im Namen der rechtsextremistischen Kleinstpartei „Der Dritte Weg“. Auch bei Facebook setzen manche Nutzer Kommentare ab, die nun Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen sind. „Jammerschade, dass er dich nicht erwischt hat“, schreibt etwa jemand auf Hollsteins Facebook-Seite.
Im Zuge der Ermittlungen um den Messerangriff hatte der Staatsschutz insgesamt 8000 Mails, Facebook-Kommentare und Whatsapp-Nachrichten mit Bezug auf das Attentat gesichtet — 84 führten nach Angaben der Polizei Hagen zur Einleitung von Strafverfahren wegen Beleidigung und Volksverhetzung, die Ermittlungen dazu laufen noch. Andreas Hollstein wird am Freitag seine Aussage als Zeuge in dem Prozess machen. Seine Entscheidung für die Mehraufnahme von Flüchtlingen hat er im Übrigen nie bereut. „Wenn die Idioten mich beschimpfen, muss ich ja irgendwas richtig machen.“