Carrera-Bahn: 50 Jahre Rennsport zu Hause

1963 brachte ein Fürther Unternehmer die Carrera-Bahn auf den Markt. Der Fahrspaß ist männlich, und er verbindet Generationen.

Düsseldorf. Der Daumen liegt fest am Drücker. Der Blick ist auf die schwarze Fahrbahn geheftet. Warten. Da. Das Startsignal. Wir drücken den Plastikschieber bis zum Anschlag herunter, die zigarrenförmigen Rennwagen beschleunigen mit elektrischem Surren. Die erste Kurve kommt. Gas wegnehmen. Gut.

Der Wagen rutscht, bleibt aber auf der Bahn. Vollgas. Der andere darf nicht zu viel Vorsprung bekommen. Wir sind beinahe auf der Zielgeraden, als es passiert. Zu viel Ehrgeiz, zu viel Gas, zu viel gewagt. Mein blauer Flitzer schießt aus der Kurve heraus und landet nach einigen klappernden Überschlägen mit einem Klatsch an der Wand. Schon wieder verloren.

Die Duelle mit meinem Bruder auf der Carrera-Bahn sind unauslöschlicher Teil meiner Kindheitserinnerungen. Millionen Deutschen wird es seit nunmehr 50 Jahren ähnlich gehen. Im Frühjahr 1963 veränderte der Fürther Unternehmer Hermann Neuhierl, damals 35, mit seiner aus den USA und England importierten und technisch verbesserten Autorennbahn die Spielzeugwelt nachhaltig. Der Motorsport für daheim war geboren.

„Rein statistisch gesehen müsste in jedem Bubenzimmer eine Carrera-Bahn stehen“, sagt Andreas Stadlbauer, Geschäftsführer des Unternehmens Stadlbauer im österreichischen Puch, das heute die Carrera-Bahnen herstellt. Seine erste Rennbahn bekam er 1976 von seinem Vater, dem Generalimporteur für Carrera-Bahnen in der Alpenrepublik. „Ich war damals acht“, erinnert er sich an das Weihnachtsfest, als die Bahn unter dem Baum lag. „Das hat mich geprägt.“

Doch bis Stadlbauer bei Carrera das Lenkrad übernehmen würde, sollte es noch einige Jahre dauern. Denn zunächst ging es für Hermann Neuhierl und die kleinen Elektroautos 16 Jahre lang mit Vollgas von Erfolg zu Erfolg. Der Umsatz kletterte 1979 auf 86 Millionen Mark. Eine bundesweite Fan-Szene etablierte sich. Die Carrera-Bahn war zu einem Lieblingsspielzeug vieler Jungen und ihrer Väter geworden.

Doch Anfang der 1980er kam der Niedergang: Im Kinderzimmer waren auf einmal digitale Videospiele statt analoger Rennwagen angesagt. Die Verkaufszahlen gingen zurück, die Banken entzogen ihre Unterstützung. Die Pleite folgte 1985. Vor Schmach nahm sich Neuhierl kurz vor der Spielwarenmesse das Leben — der tragischste Moment in der Carrera-Geschichte.

Während mein Bruder und ich Ende der 80er Jahre auf unserer schon damals betagten Carrera-Bahn Runde um Runde fuhren, dümpelte das Unternehmen vor sich hin. Bis 1999 die Stadlbauers übernahmen. Unsere Carrera-Bahn hatte zu diesem Zeitpunkt längst einen Ruheplatz im Keller gefunden.

Die Österreicher setzten im kriselnden Miniatur-Rennstall fortan auf modernste Technik und Erneuerung. „Wir haben gleich am ersten Tag die Mannschaft befragt, was verbessert werden kann“, erinnert sich Stadlbauer.

Carrera ist wieder auf Erfolgskurs. Rund eine Million Einheiten gehen weltweit jedes Jahr über die Ladentheken, 350 000 davon in Deutschland. Von der alten Technik ist nur noch die Fahrbahn übrig. Heute werden Carrera-Bahnen digital gesteuert, in der Luxusversion sogar mit einem drahtlosen Drücker. Die Fahrzeuge haben kleine Scheinwerfer, können programmiert werden und die Spur wechseln.

Nach wie vor sind es vor allem die Väter, die Carrera kaufen. „Das ist ein sehr traditionelles Geschäft“, sagt Stadlbauer. „Der Vater geht in den Laden und sucht die Rennbahn für den Jungen aus.“ Doch auch Frauen kaufen — als Geschenk für ihre nicht mehr ganz jugendlichen Männer.

Was macht die Faszination der kleinen Autos auf der schwarzen Plastikfahrbahn aus? Es sei der Wettkampfgedanke, meint Stadlbauer. An der Carrera-Bahn herrsche Chancengleichheit „von sechs bis 99“. Und: „Wir verkaufen kleine Träume. Autos, die jeder gerne in der Garage hätte.“ Und wenn das Geld für den echten Ferrari nicht reicht, wird der Traum eben im Kleinen ausgelebt — auf der Carrera-Bahn.

Wie die großen Vorbilder werden auch die Carrera-Wagen von den Fans liebevoll gepflegt. Mehr als 4000 sind im Carrera-Club: Sie schrauben an ihren Rennwagen, fahren um Meistertitel, suchen nach seltenen Modellen. Historische Modelle in Originalverpackung bringen Erträge von mehreren Tausend Euro.

Seine ersten beiden Carrera-Autos — Niki Laudas Formel-1-Rennwagen von 1976 und ein Porsche 911 — hat Andreas Stadlbauer noch: „Die stehen bei uns im Schauraum in der Vitrine.“

Auch meine Carrera-Bahn gibt es noch: „Eine Carrera Universal aus den 70er Jahren“, erkennt Stadlbauer sofort, als ich sie ihm beschreibe. Sobald sich ein passender Trafo findet, wird der blaue Rennwagen zur Revanche ansetzen.