China jetzt auch Stau-Weltmeister - 100 Kilometer Geduld

Größer, höher, weiter: China ist zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht und zum größten Automarkt weltweit aufgestiegen. Jetzt erobert das Riesenreich auch den Titel des Stau-Weltmeisters. Wer in Deutschland über Verkehrsstockungen meckert, sollte mal nach China blicken.

Peking. "Wer keine Geduld hat, kommt nicht ans Ziel", sagen die Chinesen. Seit fast zwei Wochen staut sich der Verkehr nordwestlich von Peking auf inzwischen rund 100 Kilometern Länge. Mit dem Aufstieg zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt hat das Milliardenreich einen weiteren Spitzenplatz erreicht:

Das Land mit den längsten Blechlawinen. Die Geduld der geplagten chinesischen Lastwagenfahrer wird auf eine harte Probe gestellt.Besonders schlimm ist es auf der G 110-Landstraße und der Peking-Tibet-Autobahn zwischen Huai'an in der Provinz Hebei und Xinghe in der Inneren Mongolei.

"Ich kann nichts machen, ich kann nur warten", sagt ein Fahrer in einem Interview mit den Staatsmedien. "Es ist wirklich schlimm", klagt ein anderer Fahrer. "Die Autobahn ist verstopft, auch die Landstraße ist verstopft."

Eine Fahrerfrau, die ihren Mann mit ihren zwei kleinen Kindern auf seiner Tour begleitet, sagt:"Ich bin wirklich besorgt über die hygienische Situation und die Sicherheit unseres Essens."

Es gebe auch keine Toiletten. "Jeder geht einfach an den Straßenrand - alle haben sich dran gewöhnt", sagt ein Fahrer aus der Provinz Shandong.Wenn überhaupt, rollten die Lastwagen bisher nur einige Hundert Meter am Tag.

Die immer um positive Nachrichten bemühten chinesischen Staatsmedien verkündeten am Mittwoch gleichwohl, langsam komme doch wieder Bewegung in die Blechlawine. Nur wie viel, ist fraglich.

Denn ein Ende des Mega-Staus ist nicht wirklich in Sicht.Frühestens in drei Wochen sind Straßenbauarbeiten beendet, die als eine der Ursachen für die Blechlawine gelten. Ein anderer Grund sind die verstärkten Kohlelieferungen aus der Inneren Mongolei in die anderen Teile des Milliardenreiches.

Der August ist traditionell der Monat, in dem begonnen wird, die Kohlelager für den harschen Winter zu füllen.Die Innere Mongolei nordwestlich von Peking ist im vergangenen Jahr zum größten Lieferanten des "schwarzen Goldes" aufgestiegen, nachdem in der Kohleprovinz Shanxi wegen vieler Grubenunglücke aus Sicherheitsgründen zahlreiche Bergwerke geschlossen wurden.

Doch die Transportkapazitäten der Bahn sind begrenzt. So rollen immer mehr Kohlelastwagen über die Straßen nach Peking und auch daran vorbei in die Hafenstädte Qinhuangdao, Tianjin und Caofeidian bei Tangshan.Da dass Straßennetz auch nicht ausreicht, gehören tagelange Staus schon länger zum Alltag. Vor den Toren der 17-Millionen-Metropole Peking stauen sich Lastwagen ohnehin in Bandwurmschlangen über viele Kilometer, weil sie nur nachts zur Lieferung in die Hauptstadt fahren dürfen.

Erst im Juli soll sich auf dem Peking-Tibet-Expressway über vier Wochen lang ein ähnlich riesiger Stau wie jetzt gebildet haben.Nun hocken die Fahrer wieder in der Hitze neben ihren Lastwagen oder liegen darunter und schlafen. Sie spielen Karten, schlagen die Zeit tot. Und sie ärgern sich über ebenso geschäftstüchtige wie rücksichtslose Dorfbewohner entlang der Straße, die aus ihren Qualen noch Kapital schlagen.

Für Fertignudeln, Billigwürstchen, Früchte oder auch nur Wasser müssen sie ein Vielfaches mehr bezahlen als sonst."Zwar habe ich Fertignudeln mitgebracht, aber ich habe kein heißes Wasser, um sie aufzugießen", sagt der Fahrer eines Kohlelasters aus Hohot in einem Interview. "Das heiße Wasser, das verkauft wird, kostet fünf Yuan (umgerechnet 50 Cent)." Seine Kosten stiegen rasant.

Rund 400 Polizisten sollen entsandt worden sein, um für Ordnung zu sorgen. Dennoch werden die Lastwagen auch Opfer von Wegelagerern.

"In einer Nacht griffen acht Räuber sechs Lastwagen und Autos an, flüchteten mit insgesamt 60 000 Yuan (7000 Euro)", berichtete die Ehefrau eines überfallenen Fahrers der Zeitung "Beijing Chenbao".Die Blechlawinen auf den Überlandstraßen sind nur Teil einesgigantischen Verkehrsproblems.

Da heute nirgendwo in der Welt soviele Autos verkauft werden wie in China, sind auch die Städte völligverstopft. Der Verkauf von Autos stieg 2009 um 45 Prozent. Allein inPeking werden heute jeden Tag mehr als 2000 Autos neu zugelassen.

Da der Verkehr häufig nur im Schritttempo vorankommt, müssen die Pekinger je nach Nummernschild an einem Tag der Woche ihr Auto stehenlassen.

Dennoch eroberte sich Peking im "Leidens-Index" der gequälten Pendler in Metropolen weltweit einen Spitzenplatz: "Nirgendwo sind die Staus schlimmer", titelten Zeitungen.